Der Schwyzer «Riesen-Töter» Andi Ulrich und der Luzerner Gigant Sven Schurtenberger haben schon viele ganz Böse zu Fall gebracht. Der 180 cm «kleine» Ulrich ist neben Christian Stucki und Dani Bösch der einzige noch aktive Schwinger, welcher die drei Könige Matthias Sempach, Kilian Wenger und Nöldi Forrer besiegen konnte. Schurtenberger hat am letzten Eidgenössischen Sempach die Titelverteidigung vermasselt und hat in dieser den prestigeträchtigen Berg-Klassiker auf der Rigi gewonnen.
Doch nun stehen die bösen Innerschweizer auf dem Fluglpatz in Triengen LU selber kurz vor dem tiefen Fall. Seit Ulrich «Ja» zu einem Fallschirmsprung gesagt hat, stellt sich der Gersauer seit Wochen immer und immer wieder dieselbe Frage: «Wie reagiere ich, wenn in schwindelerregender Höhe die Türe des Flugzeugs aufgeht und ich raus muss?»
Nöldi Forrer hatte einst gekniffen
Diese Frage soll in den nächsten Minuten beantwortet werden und zwar im Tandem mit dem Speed-Skydiving Weltrekordhalter Marco Wiederkehr. Der gebürtige Liechtensteiner hat schon rund 3000 Tandem-Sprünge gemacht. «Bis jetzt bin ich mit allen Passagieren ohne Probleme gelandet – nur einer hat im letzten Moment den Absprung mit mir verweigert. Und das war nicht etwa ein kleiner Bub, sondern ein riesiger, kräftiger Mann, den ihr beide sehr gut kennt», behauptet Wiederkehr mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Schurtenberger hakt nach: «Von wem sprichst du?» «Es war Nöldi Forrer. Er wollte im Sommer 2013 mit mir in Vorarlberg aus dem Flugzeug springen. Aber als 4000 Meter über dem Bodensee die Flugzeugtüre aufgegangen ist, wollte er dann doch lieber mit dem Flieger zurück auf die Erde...»
Ulrich will jetzt den Schwingerkönig von 2001 auch in der Kategorie «Mutproben» besiegen. Und nach ein paar Trockenübungen steigt er mit Wiederkehr verknüpft in den Pilatus Porter und hebt ab. Nach 15 Minuten kommt auf 3800 Metern der Moment der grossen Bewährung – der Pilot öffnet die Türe. «Mein Puls schlägt jetzt richtig heftig», gibt der Sieger des diesjährigen Schwyzer Kantonalen zu. Wiederkehr beruhigt seinen «bösen» Passagier: «Geh ins Hohlkreuz und entspann dich – ich erledige den Rest!»
Ein kräftiger Schubser, und schon fliegen die Beiden über dem Sempacher-See! Nach rund dreissig Sekunden öffnet sich der Schirm und nach der Landung strahlt der Gersauer Landwirt und Forstwart übers ganze Gesicht und schwärmt: «Das war echt genial! Der freie Fall fühlt sich ähnlich an, wie wenn man auf der Autobahn die Hand zum Fenster hinaushält. Mit dem Unterschied, dass nicht nur die Hand sondern der ganze Körper wie verrückt flattert!»
Schurtenberger stürzt 135 Kilo aus dem Flieger
Dieses Gefühl will jetzt auch Sven Schurtenberger erleben. Für Tandem-Master Wiederkehr stellt der Flug mit dem 135 Kilo-Mann die deutlich schwerere Herausforderung dar als der Sprung mit dem rund 35 Kilo leichteren Ulrich. «Sven, einen so schweren Passagier wie dich hatte ich bis jetzt noch nie. Aber unser Schirm wird deine Last problemlos aushalten. Und wenn du bei der Landung deine Beine gut anziehst, werden wir keine Probleme bekommen.»
Zu einem echten Problem könnte für den vierfachen Kranzfestsieger aber der letzte Blick in die Tiefe werden. «Ich habe zwar Zimmermann gelernt. Weil ich nach mehreren ziemlich schmerzhaften Abflügen vom Dach immer mehr Probleme bei Arbeiten in der Höhe bekommen habe, musste ich den Beruf wechseln.» Deshalb verdient der 25-Jährige sein Geld seit ein paar Jahren als Gärtner. Aber kann er sich jetzt noch einmal zu einem Sprung in die Tiefe überwinden?
Beim Absprungpunkt angekommen macht sich die Höhenangst beim «Bär aus Nottwil» wieder bemerkbar. «Ich werde jetzt die Augen schliessen, damit ich gar nicht erkennen kann, wie hoch wir wirklich sind», stottert Schurtenberger. «Das ist eine gute Idee», ruft Wiederkehr und bewegt den von der Höhe traumatisierten Schwinger auf die Schwelle des Abgrundes!
«Sonst muss ich kotzen!»
4,3,2,1 – Schurtenberger hat seinen inneren Schweinehund mit geschlossenen Augen besiegt und fliegt jetzt von Wiederkehr gesteuert durch seine Luzerner Heimat. «Ist das geil!», schreit er nach ein paar Sekunden im freien Fall. Doch kurz nach der Öffnung des Schirmes empfindet «Schurti» sein luftiges Treiben für einen Moment nicht mehr ganz so prickelnd. Warum? Wiederkehr fliegt eine derart scharfe Drehung, dass Schurtenberger der Frühstücks-Kaffe hochkommt. «Das darfst du mit mir nicht machen, sonst muss ich kotzen!»
Wiederkehr verzichtet deshalb auf weitere Special-Effects und setzt zur Landung an. Sven zieht seine Beine mustergültig an und schon hat ihn die Erde wieder. Kollege Ulrich eilt herbei und erkundigt sich nach dem Befinden seines ISV-Kollegen: «Ich fühle mich wunderbar! Aus dem Flieger zu springen ist für mich definitiv angenehmer als auf dem Dach von einem Haus zu stehen. Weil ich vor dem Absprung die Augen schloss, hat es ein paar Sekunden gedauert bis ich gemerkt hab, dass ich in der Luft bin. Es war eine ganz tolle Erfahrung, nun kann der Unspunnen kommen!»