Wenn man auf dem elterlichen Bauernhof hoch über Aarau mit Jan und Tim Roth am Küchentisch sitzt, dann ist man froh, dass der eine ein blaues und der andere ein rotes Hemd trägt. «Das haben wir extra so gemacht, damit es nicht zu viele Verwechslungen gibt», sagt Jan. Oder ist es Tim, der das sagt?
Sie kennen einander schon neun Monate länger als irgendjemand anders. Die eineiigen Zwillinge haben den gleichen Kleiderstil, die gleichen Vorlieben, fahren denselben Töff, haben die gleichen Lieblingsspeisen, gehen zum selben Coiffeur, sind beide etwas mehr als 1,80 Meter gross und rund 118 Kilo schwer. Die Gemeinsamkeiten sind endlos. Unterschiede gibt es wenige. Tim ist im dritten Lehrjahr als Landschaftsgärtner, Jan im dritten Lehrjahr als Koch. «Tim ist nicht nur mein Bruder. Er ist auch mein bester Freund», sagt Jan.
2010 sitzen sie in der Stube und schauen mit den Eltern die Übertragung des Eidgenössischen Schwingfests in Frauenfeld. Inspiriert durch das Gesehene gibt es auf dem Sofa das erste Direktduell. Später verlagern sich die Kämpfe auf das grosse Trampolin im Garten. Und es werden auch bereits damals Notenblätter von jedem Duell angefertigt. Bis heute sind die Stärkeverhältnisse ausgeglichen. Mal gewinnt Tim, mal gewinnt Jan. Oder dann endet der Gang, wie zuletzt meist, gestellt. Brüderlich halt.
Beide Teenies haben schon Kränze
Mit zehn Jahren beenden sie ihre Karrieren als Stürmer beim FC Erlinsbach und konzentrieren sich nur noch aufs Schwingen. Die Mutter hat den Kontakt zum Schwingklub Aarau längst hergestellt und fährt ihre Buben regelmässig ins Training. Es geht schnell bergauf. Ein Blick ins Kinderzimmer voller Zweige zeigt, dass es schon früh sehr gut gelaufen ist.
In diesem Jahr haben die beiden Aargauer Nachwuchshoffnungen auch schon bei den Aktiven für Furore gesorgt. Jan hat schon drei Kränze gewonnen, unter anderem beim Nordwestschweizer Teilverbandsfest. Tim ist auch schon Kranzer, hat aber wegen einer Verletzung einige Wochen aussetzen müssen. Trotzdem haben sich beide für das Eidgenössische in Pratteln qualifiziert.
Erst einmal waren sie getrennt
Das Ziel ist für beide, acht Gänge zu schwingen. Und es wird sein wie immer. «Wenn Tim schwingt bin ich nervöser als vor meinen eigenen Kämpfen», sagt Jan. Auf der Tribüne werden auch die Eltern und Freunde mitfiebern. «Klar bin ich stolz auf den Weg, den sie machen», so der Vater.
Waren die Zwillinge eigentlich noch gar nie getrennt? «Doch. Vor einigen Jahren war Tim im Skilager und ich nicht», sagt Jan derart aufgeregt, als wäre es ein traumatisches Erlebnis gewesen. Tim nickt schon fast andächtig und betroffen dazu.
Nun, die zwei haben die Trennung ohne Spätfolgen überstanden.
Am Samstagmorgen werden sie aber Schulter an Schulter in die Arena einmarschieren. Unter dem tosenden Applaus von mehr als 50'000 Zuschauern.