«Ich habe schon einige Male ans Aufhören gedacht»
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Reichmuth fliegt Pilatus P-3:«Ich habe schon einige Male ans Aufhören gedacht»

«Das ist ja heftig»
Schwinger Reichmuth wagt sich vor ESAF in luftige Höhen

Pirmin Reichmuth sehnt sich 2019 nach dem Schwingerkönigstitel. Als Kind hatte er noch andere Träume. BLICK begleitet den Zuger Spitzenschwinger bei seinem Traum vom Fliegen, der fast zum Albtraum wird.
Publiziert: 12.08.2019 um 14:55 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2019 um 10:23 Uhr
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Schwinger Pirmin Reichmuth fliegt in einer Pilatus P-3 mit – und kommt hier bei einem Looping ins Schwitzen.
Foto: Sven Thomann
Marcel W. Perren

Wie ein kleines Kind hat sich ­Pirmin Reichmuth auf diesen Flug ­gefreut. Doch bei der ersten ­Begegnung mit der altehrwürdigen Pilatus P-3 der Schweizer Luftwaffe auf dem Flugplatz in Locarno verwandelt sich seine ­Euphorie in Skepsis. «Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass ich mit diesem ­alten Teil in den Genuss eines ordentlichen Ad­renalinkicks kommen werde.»

Dazu muss man wissen, dass der Zuger adrenalintechnisch seit seiner Kindheit überdurchschnittliche Ansprüche hat. Mit acht ist er im Verzascatal erstmals von einer zwölf Meter hohen Brücke in den Fluss gesprungen. Der erfahrene P-3- und PC-7-Pilot Roland Ginggen weiss ganz genau, dass ein solcher Brückensprung im Vergleich zu einer Flugstunde mit dem langjährigen Schulungsflugzeug der Armee einem Kindergeburtstag gleichkommt. Doch der Vogelmensch aus dem Berner Oberland will die grösste Königs-Hoffnung der Innerschweizer noch ein bisschen in der Skepsis schmoren ­lassen. Dabei stösst das Muskelpaket aus Cham schon beim Einsteigen an seine Grenzen. Der 198 cm lange und 122 kg schwere Top-Athlet muss sich in den schmalen ­Co-Pilot-Sitz hineinquetschen.

Der grösste Wurf seines Lebens

Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Kapitän Ginggen startet den Motor der 1954 gebauten ­Maschine. Kurz vor zwölf Uhr heisst es: «Ready for take-off.» Die Startphase verläuft genau so unspektakulär, wie es Pirmin Reichmuth befürchtet hat. Kein Vergleich zum Aufstieg, den er selber zu ­Beginn dieser Saison im Sägemehl realisiert hat. Der gelernte Metzger, der in den letzten fünf ­Jahren dreimal durch Kreuzbandrisse am Knie gestoppt wurde, triumphierte am ­Zuger, Urner und Luzerner Kantonalen. Am Kranzfest der Urner hat «Piri» den Luzerner Joel Wicki wie einen Schulbuben aus dem Weg geräumt.

In Locarno fühlt sich der Überflieger auf einmal nicht mehr ganz so wohl in seiner Haut. Nach der gemächlichen Startphase ­beginnt Ginggen, seinen alten Vogel mächtig zu beschleunigen und dreht in der Gotthard-Region mit rund 350 Sachen zwei ­spektakuläre Rollen. Reichmuth verzieht sein Gesicht und stöhnt ein erstes Mal: «Mein Gott, das ist ja sehr viel heftiger, als ich es mir im Traum vorgestellt habe!»

Doch Pilot Ginggen hat noch viel mehr atemberaubende Elemente zu bieten. Hoch über dem Maggiatal beschleunigt er erneut und fliegt einen Looping und je eine Rolle links und rechts. Den stärksten Mann der Urschweiz presst es nun mit voller Wucht in seinen Sitz. Reichmuth, der sich aktuell zum Physiotherapeuten weiterbildet, hätte jetzt nichts mehr dagegen einzuwenden, wenn Roland Ginggen den Landeanflug einleiten würde. Doch dieser hat noch nicht genug, packt noch einmal zwei Loopings und vier Rollen aus. «Ufffff», stöhnt Reichmuth. «Jetzt ist dann aber wirklich genug für mich.»

Der Pilot serviert ihm allerdings vor der Landung noch ein besonderes Dessert. Über dem Lago Maggiore darf Reichmuth den Steuerknüppel selber übernehmen. Der Spassfaktor hält sich dabei in Grenzen: «Ich fühle mich gerade sehr unsicher.» Spass hatte er auch Mitte Saison als Schwinger nicht mehr immer. Auf dem Stoos musste er zwei Kontrahenten stehen lassen und am Teilverbandsfest der Innerschweizer kassierte er gegen Benji von Ah die ­einzige Niederlage in dieser Saison. Aber dann gelang dem 23-Jährigen nach einer Wettkampfpause am letzten Sonntag im Juli der bislang grösste Wurf seines Lebens – Reichmuth sicherte sich beim Berg-Klassiker auf dem Brünig den Festsieg!

Die grösste Hoffnung aller Innerschweizer

Spätestens seit diesem Tag sind die Hoffnungen in seiner Heimat im Hinblick aufs Eidgenössische riesig. Viele Fans erwarten von Pirmin Reichmuth, dass er in seiner Heimatstadt Zug der Innerschweiz den ­ersten Schwingerkönigstitel seit Harry Knüsel 1986 beschert. Als Belastung empfindet Reichmuth die gigantische Erwartungshaltung seiner Landsleute aber nicht: «Ich empfinde sehr viel mehr Vorfreude als Druck.» Seine Erklärung klingt plausibel: «Meine Karriere stand in den letzten ­ Jahren wegen den Knieverletzungen kurz vor dem Aus. Darum geniesse ich jetzt, wo es mir gesundheitlich wieder richtig gut geht, jeden Wettkampf ganz besonders ­intensiv.»

Richtig gut fühlt sich Reichmuth auch jetzt kurz nach 13 Uhr, nachdem der Pilot den auf den ersten Blick so unscheinbaren «Vogel» sicher gelandet hat. «Ich werde ­diesen Flug nie vergessen, es war ein grandioses Erlebnis. Was zu Beginn so harmlos begann, wurde für mich mit der Zeit zu ­einer echten Belastungsprobe. Mein Körper musste zeitweise Belastungen von bis zu 4 g standhalten. Das ist für mich das absolute Limit.»

Alle Infos zum Eidgenössischen in Pratteln

Vom 26. bis 28. August dominieren Kolosse, Sägemehl und Zwilchhosen die Schweiz – das Eidgenössische Schwing- und Älplerfest 2022 in Pratteln steht an. Hier findest Du alles, was Du über den Mega-Event wissen müssen.

Sven Thomann

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