Das grosse Interview mit dem Überschwinger
Was der Unspunnen-Sieg in Samuel Giger ausgelöst hat

Samuel Giger gehört mit seinem Triumph beim Unspunnen-Schwinget zu den prägenden Figuren des Sportjahrs 2023. Er hat gezeigt, dass er der kompletteste Schwinger des Landes ist. Das Interview mit dem Mann, der seit diesem Triumph die Leichtigkeit wiedergefunden hat.
Publiziert: 09.12.2023 um 12:08 Uhr
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Aktualisiert: 09.12.2023 um 12:10 Uhr
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Im besten Schwingeralter: Samuel Giger.
Foto: BENJAMIN SOLAND
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Felix BingesserReporter Sport

Samuel Giger, Sie wurden beim Super10Kampf vor einigen Wochen zum Gladiator 2023 gewählt. Das passt für ein Muskelpaket mit 194 Zentimetern und 125 Kilo.
Samuel Giger:
Das war eine Wahl des Publikums. Und das hat mich extrem gefreut. Gladiator 2023, doch, das tönt nicht schlecht.

Haben Sie den Film «Gladiator» gesehen?
Ja, habe ich. Und vor dem Schlussgang des Unspunnen-Schwingets wurde beim Einmarsch die Filmmelodie aus Gladiator in der Arena gespielt.

War das die entscheidende Inspiration zum Sieg?
Nein, so genau habe ich auch nicht zugehört. Bei mir im Ohr läuft vor den Gängen andere Musik. Eher Hardrock und Metal.

Ihre Auszeichnung zum Gladiator 2023 hat erneut gezeigt, wie populär das Schwingen ist.
Das ist so. Ich staune auch immer wieder. Beim Super10Kampf war ich mit zwei im Team, die in diesem Jahr einen Weltmeistertitel gewonnen haben. Mit Langläuferin Anja Weber und Ruderer Andrin Gulich. Aber von denen nimmt man kaum Notiz, was ich als etwas ungerecht empfinde. Mir ist einmal mehr bewusst geworden, wie viel Aufmerksamkeit und Wertschätzung wir Schwinger bekommen. 

Ihr Vater hat nach Ihrem Sieg am Unspunnen gesagt: «Jetzt sehe ich endlich wieder den alten Sämi, der lacht und Lebensfreude ausstrahlt.» War der Triumph in Interlaken tatsächlich so eine riesige Erlösung?

Natürlich war das eine grosse Befreiung. Für so einen Erfolg muss alles zusammenpassen. Und an diesem Tag hat es endlich gepasst. Aber ich war auch vorher keiner, der nur Trübsal geblasen und nie gelacht hat.

Aber dass Sie Ihrer Favoritenrolle endlich gerecht werden, hat schon sehr viel ausgelöst?
Ja, klar. Natürlich fällt da eine grosse Last ab, wenn es bei einem Grossanlass klappt. Aber es ist nicht so, dass ich vorher regelmässig versagt habe. Ich war Sieger beim Kilchberg-Schwinget, ich habe bei den Eidgenössischen in Zug und in Pratteln Spitzenplätze belegt.

Aber als Favorit will man gewinnen?
So einfach ist das nicht. Es gibt noch mindestens fünf, sechs andere, die auf meinem Niveau schwingen und jederzeit so ein grosses Fest gewinnen können. Es ist immer ein Puzzle, das aufgehen muss. Und es kann nur bei einem aufgehen. Das vergisst man bei der Betrachtung immer wieder.

Wer sind die anderen fünf oder sechs?
Die Namen kennt jeder, der sich mit Schwingen befasst. Die muss ich jetzt nicht aufzählen.

Sie sind mit dem Sieg in Interlaken auch belohnt worden für die Veränderungen, die Sie in Ihrem Betreuerteam aufgegleist haben?
Ja. Ich war zwar auch vorher in guten Händen. Ich habe neue Impulse und neue Reize gebraucht.

Zwei Handballer.
Ja, mein Athletiktrainer Goran Cvetkovic, der auch Pfadi Winterthur trainiert. Bei ihm habe ich nochmals einen Sprung nach vorne gemacht.

Wie?
Er weiss, wie er mich herausfordern kann. Wenn er sagt, ich solle acht Minuten auf dem Airbike mit 350 Watt strampeln, dann murmelt er beim Weglaufen: «Profis schaffen 400 Watt.» Dann weiss er genau, dass ich 400 Watt einstelle.

Und was macht Ihr Mentaltrainer Adrian Brüngger genau?
Das ist sehr komplex. Er arbeitet im Gegensatz zu meinem vorherigen Mentaltrainer mit Hypnose. Es geht darum, ins Unterbewusstsein vorzudringen und gewisse Dinge umzuprogrammieren. Nervosität und Druck abbauen, Blockaden lösen, den Fokus finden.

Und Sie sind dabei im Tiefschlaf?
Nein. Es ist wie ein Mittagsschläfchen. Man ist irgendwie da und aufnahmefähig, erschrickt dann aber trotzdem, wenn der Wecker losgeht.

Sie wirkten in Interlaken auch aggressiver und entschlossener. Wie beispielsweise die Draufgänger Joel Wicki und Werner Schlegel.
So war ich als junger Schwinger auch. Aber das ist zwischenzeitlich etwas verloren gegangen. Und ich bin vom Temperament her der eher besonnene und ruhige Typ. Doch der Killerinstinkt darf nicht verloren gehen. Daran haben wir gearbeitet. Wer zuerst zieht, der hat die erste Chance auf den Sieg.

Sie haben die normale RS absolviert und sind nicht in die Sportler-RS. Und Sie haben lange Zeit auf lukrative Sponsorenverträge verzichtet. Wurden Sie für diese Haltung auch belächelt?
Es gab den einen oder anderen Spruch. Ich habe mit sieben Jahren mit dem Schwingen begonnen und kam als 16-Jähriger völlig unbeschwert zu den Aktiven und konnte auf Anhieb schöne Erfolge feiern. Aber ich hatte noch nicht so viel Selbstvertrauen, ich war noch keine Persönlichkeit. Die Medienanfragen und die Angebote für Sponsorenverträge, ich fühlte mich damals für diese Dinge noch nicht bereit. Und Geld ist nicht immer entscheidend. Ich habe damals zu Hause gewohnt, war Lehrling und hatte genug zum Leben. Und Schwingen ist ein günstiger Sport, da braucht man keine teure Ausrüstung. Irgendwie habe ich auch immer das Gefühl gehabt, dass ich zuerst Leistung bringen muss und dann über Sponsorenverträge nachdenken kann.

Heute ist das anders geworden?
Es ist Teil der Entwicklung und des Reifeprozesses. Heute stimmt es für mich. Und die Sponsoren ermöglichen es, dass ich auch mein Arbeitspensum als Lastwagenchauffeur auf 40 Prozent reduzieren konnte. Es ist schwierig, ganz an der Spitze mitzuschwingen und ein volles Arbeitspensum zu haben.

Können Sie sich vorstellen, einmal Schwing-Profi zu sein?
Für einige Jahre voll auf die Karte Schwingen zu setzen, schliesse ich nicht aus.

Der Zeitpunkt wäre ideal. Das Jubiläumsschwinget 2024 in Appenzell, das Eidgenössische 2025 in der Ostschweiz stehen vor der Tür.
Momentan läuft es gut, und eine weitere Reduktion des Arbeitspensums ist bis zum Eidgenössischen in Mollis kein Thema. Auf Appenzell freue ich mich, meine Wurzeln sind da, und der Festplatz ist zehn Minuten vom Bauernhof entfernt, auf dem ich die ersten Jahre meines Lebens verbracht habe. Der Hof wird jetzt von meinem Bruder geführt. Dieses Fest wird für mich eine emotionale Angelegenheit.

Und im Glarnerland möchten Sie endlich Schwingerkönig werden?
Das versuche ich. Wie viele andere auch. Ich bin jetzt im besten Alter und kann, wenn ich gesund bleibe, noch einige Jahre auf diesem Niveau schwingen. 

Die starken Nordostschweizer scheinen für das Heimfest bestens gerüstet?
Wir haben ein tolles Team, ja. Aber die Berner haben immer noch die breitere Spitze.

In der letzten Saison gab es auch viele Diskussionen über die Einteilung der Kämpfe. Wie denken Sie darüber?
Diese Diskussionen gibt es immer und wird es immer geben. Mit der erhöhten medialen Aufmerksamkeit wird mehr öffentlich diskutiert. Gemotzt worden ist unter den Schwingern auch in früheren Zeiten schon. Das hat mir mein Grossvater schon vor Jahren gesagt.

Also ist die Einteilung nicht ungerechter geworden?
Nein. Im Gegenteil. Ich finde, die Einteilung ist mittlerweile sogar gerechter geworden.

Warum?
Da habe ich keine Erklärung.

Vielleicht, weil das Einteilungsgericht weiss, dass die Öffentlichkeit genauer hinschaut und es auch in den Medien diskutiert wird?
Das hat vielleicht einen kleinen Einfluss.

Es gibt Stimmen, die finden, die Ehrendamen und das Frauenbild, das sie mit dieser Rolle transportieren, sei nicht mehr zeitgemäss. Muss das Schwingen auf dem Weg in die Zukunft gewisse Traditionen hinterfragen?
Von der Diskussion über Ehrendamen habe ich noch nie etwas gehört. Das Schwingen ist dank der Tradition so gross geworden, und daran sollte sich nichts ändern. Auch ein Muni gehört auf den Festplatz, und ein Schwingfest beginnt am Sonntagmorgen früh. Wenn man alle Traditionen über Bord werfen wollte, dann könnte man am Samstagabend einen Event mit den besten dreissig Schwingern machen, und in zwei Stunden ist alles fertig. Das kann nicht die Zukunft unseres Sports sein.

Sie haben in diesem Jahr für Ihr Heim-Bergfest auf der Schwägalp abgesagt. Warum?
Weil mir das Datum eine Woche vor dem Unspunnen nicht gepasst hat. Das habe ich schon Anfang Jahr für mich so festgelegt.

Werden Sie 2024 auf der Schwägalp wieder dabei sein?
Klar.

Unspunnen-Sieger und Gladiator 2023 sind Sie schon. Werden Sie auch Sportler des Jahres?
Das glaube ich eher nicht, auch wenn ich mich sehr freuen würde. Aber ich bin nicht Schwingerkönig geworden, sondern Unspunnensieger. Ich vergleiche es immer so: Der Königstitel im Schwingen ist wie ein Olympiasieg, der Unspunnen-Sieg ist wie ein WM-Titel. Und da ist auch noch Marco Odermatt, der in der letzten Saison wieder Unglaubliches geleistet hat.

Gegen welchen Gegner haben Sie in Ihrer Karriere noch nie gewonnen?
Von den Schwingern, die immer noch aktiv sind, gibt es nur einen. Es ist der Berner Thomas Sempach. Wir sind schon dreimal aufeinandergetroffen. Aber immer gab es einen Gestellten.

Was hat Samuel Giger noch für Träume?
Ich bin eher ein realistischer Mensch. Träumen? Wenn, dann von einer Familie und einem schönen Eigenheim mit etwas Umschwung im Grünen.

Sie leben zusammen mit Ihrer Freundin Michelle von Weissenfluh, die aus einer Berner Oberländer Schwingdynastie stammt. Läuten schon bald die Hochzeitsglocken?
Heiraten ist für uns sicher ein Thema, aber konkret ist noch nichts.

Aber die weiblichen Fans müssen keine Heiratsanträge mehr schicken?
Nein. Das ist aussichtslos. Zu spät. 

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