Ein eisiger Wind zieht durch das ehemalige Industriegelände Attisholz in Solothurn. Die Aare fliesst ruhig an den alten Gebäuden vorbei. Das schummrige Licht wirft einen langen Schatten der umliegenden Bäume auf das Wasser. Es ist kalt, das Wasser hat eine Temperatur von rund 8 Grad. Romano Mombelli steigt trotzdem ins eisige Nass, nimmt einige Züge. Als er wieder rauskommt, meint er lachend: «Das ist sogar für mich an der Grenze.»
Dabei ist sich Mombelli extreme Bedingungen eigentlich gewöhnt. Das Schwimmbad ist dem 27-Jährigen zu langweilig. Stattdessen wagt er sich in die extremen Gewässer, schwimmt durch Kanäle, Seen, Flüsse und Meere. Teilweise 12 Stunden am Stück ist er unterwegs, ohne einen Fuss an Land zu setzen. Warum tut er sich das freiwillig an?
«Das macht mir einfach Spass. Es ist meine grosse Leidenschaft», lacht Mombelli. «Ich will meine Leistungsgrenzen kennenlernen und ausloten. Das Ziel ist es, dass ich mir selbst neue Grenzen setzen kann. Ausserdem bin ich draussen in der Natur, bin nicht im Becken eingeengt. Beim Schwimmen in offenen Gewässern sind mir keine Grenzen gesetzt.»
Schwimmen ist noch immer sein Hobby
Grenzen überwinden, neue Limiten setzen. Das ist die Motivation eines Extremsportlers, der noch vor wenigen Jahren dem Schwimmsport den Rücken zukehren wollte. «Ich war früher ganz normal in der Schwimmschule, dann im Klub. Irgendwann kamen die ersten Wettkämpfe. 2014 habe ich dann entschieden: ‹Das wars. Ich höre auf.› Ich hatte genug von den immer gleichen Bahnen im Schwimmbecken.»
Zum Abschluss seiner Karriere wollte er sich an ein extremes Projekt wagen. Er durchschwamm die Strasse von Gibraltar. Ein Wendepunkt. Mombelli beendete seine Karriere nicht, er wagte sich an neue Projekte. Er durchschwamm die Linthebene von Walenstadt bis nach Zürich innert vier Tagen. Startete in Yverdon und schwamm bis nach Solothurn. Schaffte die Beltquerung zwischen Deutschland und Dänemark in weniger als sechs Stunden. Und auf der Strasse von Bonifacio zwischen Korsika und Sardinien stellte er gar einen neuen Weltrekord auf (3:40 Stunden).
Trotz Weltrekord und Extremsport, Schwimmen ist für Mombelli noch immer ein Hobby. Beruflich ist der 27-Jährige Student, beschäftigt sich mit Germanistik und Geschichte. Wieso nicht Sport? «Mich interessiert Literatur und Geschichte. Ausserdem bin ich froh, wenn ich das Schwimmen und die Uni trennen kann.» Seine engen Studienkollegen wüssten, was er in seiner Freizeit mache. «Aber ich bin auch froh, wenn ich mal nicht übers Schwimmen reden muss.» Mit seinem Hobby beschäftigt er sich so oder so beinahe jeden Tag. Sechs Mal in der Woche trainiert er – in der Nebensaison. Während der Hauptzeit ist er bis zu elf Mal wöchentlich im Training.
Das Essen gibts per Greifarm
Alleine ist Mombelli beim Extremschwimmen nie. Ein Boot begleitet ihn, weist ihm etwa die Richtung. Seine Begleiter auf dem Boot, meist seine Trainerin und eine zweite Person, die ausschliesslich für die Ernährung zuständig ist, motivieren den Solothurner. Das Boot berühren darf er nicht, sehr wohl aber Essen zu sich nehmen.
«Alle 30-40 Minuten kriege ich per Greifarm meine Gels oder Riegel zugesteckt. Was ich wann zu mir nehme, wird im Voraus genau bestimmt. Dann packen wir die entsprechenden Nahrungsmittel in Säckli ab. Beim so genannten Feeding haben wir jeweils auch Zeit für einen kurzen Austausch», erklärt Mombelli.
Die Personen auf dem Boot sind allerdings nicht nur für die Ernährung verantwortlich. Sie beobachten das Wetter und den gesundheitlichen Zustand Mombellis ganz genau. Das Vertrauen ins Team sei das Allerwichtigste, erklärt er denn auch: «Wenn mein Team sagt, wir brechen einen Versuch ab, dann brechen wir ab. Da gibt es keine Diskussion.» Dass das Team abbrechen musste, sei allerdings noch nie vorgekommen.
«Niederlagen sind ein grosser Ansporn»
Mombelli hingegen zog bei einem Versuch auf Hawaii den Stecker. Kurz nach dem Start wurde er von Quallen gebissen. «Und es war nicht irgendeine Qualle, sondern ein Schwarm von Portugiesischen Galeeren. Wer deren Biss erlebt hat, weiss, dass das nicht mehr nur einfach Schmerzen sind. Ich hatte Lähmungserscheinungen. Es war für mich klar, dass es nicht weitergehen würde.»
Sein Team versucht noch einmal, ihn zu motivieren. Vergeblich. Er muss abbrechen, die Quallen haben ihn am ganzen Körper gebissen. Eine grosse Enttäuschung.
«Klar, in den ersten Tagen nach dem Abbruch habe ich mich einfach nur geärgert. Da reist man so weit, bereitet sich lange vor und muss dann nach wenigen Kilometern aufhören. Das war einfach bitter», erinnert er sich zurück. Doch nach dem Ärger folgt auch der positive Blick nach vorne. «Am Ende sind solche Niederlagen immer auch ein Ansporn. Aus solchen Dingen lernt man, arbeitet noch mehr an sich.»
Mombelli will die Triple Crown
Nun steht Mombelli vor dem nächsten grossen Projekt. Er will sich an die «Triple Crown» wagen, eine Herausforderung der Sonderklasse. Um die Triple Crown zu schaffen, muss Mombelli den Ärmelkanal zwischen Frankreich und England bestehen, die Manhattan Island vor New York umrunden und den Catalina Channel bis nach Los Angeles durchschwimmen. Die Distanzen liegen zwischen 42 und 55 Kilometern, der pure Wahnsinn.
Doch Mombelli setzt noch einen obendrauf: Er will als erster Schweizer alle Kanäle innert 365 Tagen meistern. Keine einfache Aufgabe, sind die entsprechenden Zeitfenster meist lange im Voraus ausgebucht. Im Sommer 2020 soll es losgehen – wenn alles klappt. Schwimmerisch sei die Herausforderung kein Problem, meint Mombelli. «Es braucht allerdings auch immer eine Portion Glück. Das Wetter muss mitspielen, es gibt einige Faktoren, die sich nicht berechnen lassen.»
Und was kommt nach der Triple Crown? Was kann Romano Mombelli noch erreichen? Der Schwimmer grinst und meint: «Ich konzentriere mich voll und ganz auf das Jetzt. Aber eines weiss ich: Aufhören ist ganz bestimmt keine Option.»
Romano Mombelli (27) ist Extremschwimmer. Geboren und aufgewachsen in Solothurn, kam er schon früh mit dem Wasser in Kontakt. Nach vielen Wettkämpfen im Schwimmbad wechselte er 2014 ins offene Gewässer («Open Water Swimming»). Seinen grössten Erfolg feierte Mombelli in der Strasse von Bonifacio zwischen Korsika und Sardinien, die er innert 3:40 Stunden durchschwimmen und damit einen neuen Weltrekord aufstellen konnte. Mombelli studiert Geschichte und Germanistik.
Romano Mombelli (27) ist Extremschwimmer. Geboren und aufgewachsen in Solothurn, kam er schon früh mit dem Wasser in Kontakt. Nach vielen Wettkämpfen im Schwimmbad wechselte er 2014 ins offene Gewässer («Open Water Swimming»). Seinen grössten Erfolg feierte Mombelli in der Strasse von Bonifacio zwischen Korsika und Sardinien, die er innert 3:40 Stunden durchschwimmen und damit einen neuen Weltrekord aufstellen konnte. Mombelli studiert Geschichte und Germanistik.