Paul Estermann muss sich so seine Gedanken gemacht haben. Am Abend vor der schriftlichen Urteilsverkündung am letzten Donnerstag reitet der 56-Jährige noch an den Munich Indoors in der Münchner Olympiahalle. Gleichzeitig wird dem Verband das Urteil schon vorgelegt. Estermann tritt dann überraschend und verfrüht die Heimreise an. Schon am Freitag wird der Springreiter wieder in Hildisrieden LU gesichtet.
Und gestern, nur drei Tage später, dann die ebenso überraschende Meldung des Verbandes SVPS: Estermann hat sich – offenbar freiwillig – aus dem Elite-Kader zurückgezogen. Dies obwohl sein Anwalt gegen das zweitinstanzliche Urteil der mehrfachen, vorsätzlichen Tierquälerei Berufung angemeldet hat. Erst wenn in den nächsten Wochen die schriftliche Begründung vorliegt, wird entschieden, ob an der Berufung dann auch festgehalten wird.
Diese quälende Warterei würde definitiv negative Auswirkungen haben auf die Gesamtsituation der Schweizer Springreiter. «Mit diesem Schritt möchte Estermann dem Pferdesport und dem SVPS dienlich sein und gewährleisten, dass sich die Schweizer Springreit-Equipe störungsfrei auf die neue Saison mit den Olympischen Spielen von Tokio vorbereiten kann», schreibt der SVPS. Weil Estermann nun kein Kaderreiter mehr ist, darf er weder an Nationenpreisen noch Championaten (EM, WM) starten. Teilnahmen an nationalen und internationalen Turnieren sind noch möglich.
Allerdings hat der Luzerner bereits entschieden, auf die heimischen Events in Genf (Dezember) und Basel (Januar) zu verzichten. Aus Angst vor negativen Reaktionen auf seine Auftritte? Seinen Equipen-Kollegen gegenüber ist dies nur fair. Denn es kann nicht sein, dass eine Verfehlung einen Schatten auf alle Schweizer Springreiter wirft.
Estermanns Schritt befreit den Verband aber nicht von dessen Verantwortung. Obwohl der SVPS festhält: «Aufgrund der Unschuldsvermutung sieht der SVPS zum jetzigen Zeitpunkt von allfälligen verbandsinternen Sanktionen ab.» Noch. Denn wenn früher oder später auch von der nächsten Instanz, dem Kantonsgericht Luzern, ein Schuldspruch erfolgt ist, muss auch der Verband ein Zeichen setzen.