Der Fall: Steve Guerdats Spitzen-Pferde Nino des Buissonnets und Nasa wurden am Fünf-Sterne-CSIO in La Baule (Fr) Mitte Mai positiv auf drei verbotene Substanzen getestet: Codein, Oriparin und Morphin. Alles schmerzstillende Substanzen, die in den Samen der Schlafmohn-Pflanze enthalten sind. Deshalb zieht der Weltverband FEI eine Kontamination – sehr wahrscheinlich des Futters – in Betracht. Dennoch hat die FEI am Montag den 33-jährigen Olympiasieger (2012 in London mit Nino) sowie die beiden betroffenen Pferde für zwei Monate provisorisch gesperrt. BLICK beantwortet die wichtigsten Fragen zu diesem komplexen Thema.
- Wie häufig kommt Doping bei Pferden vor?
Eine anerkannte Grösse der Pferdemedizin ist Prof. Dr. Anton Fürst (51), Direktor der Pferdeklinik der Uni Zürich und Präsident der Veterinärkommission des Schweizerischen Verbandes für Pferdesport SVPS. Er weiss: «Im Durchschnitt gibt es in der Schweiz ein bis zwei Fälle pro Jahr. Es gilt aber zu betonen, dass diese keine Doping-, sondern Medikationsvergehen sind» (s. nächste Antwort). An einen leistungsfördernden Dopingfall mit Schweizer Betroffenen erinnert sich Fürst nicht. Einen grossen Vorfall mit Schweizer «Beteiligung» gab es nach Olympia 2008 in Peking/Hongkong: Beim Team-Wettbewerb wurde ein Pferd der Bronze-Gewinner aus Norwegen positiv auf den leistungsfördernden Wirkstoff Capsaicin getestet. Die Schweizer Equipe erbte daraufhin die Bronzemedaille.
- Wie kann ein Pferd gedopt werden?
Doping bei Pferden bedeutet, dass dem Tier Substanzen verabreicht werden, um seine Leistungsfähigkeit bei Wettkämpfen zu beeinflussen. Meistens geschieht dies mit Schmerz- oder Beruhigungsmitteln. Man unterscheidet aber zwischen Doping und Medikation. Die FEI führt eine Liste von Substanzen, die kontrolliert, eben zur Medikation, abgegeben werden können. Auf einer weiteren Liste sind die verbotenen Wirkstoffe, also die Dopingsubstanzen, aufgeführt.
Das Heikle: Im Pferdesport gilt die Null-Toleranz. Seit etwas mehr als zehn Jahren werden in den Labors selbst kleinste Werte nachgewiesen. Die häufigsten Vergehen sind laut Prof. Dr. Fürst wie in Guerdats Vorfall Kontaminations- oder eben Medikationsfälle. «Wenn zum Beispiel bei Zahnbehandlungen Beruhigungsmittel oder bei Koliken Schmerzmittel verwendet werden müssen.» Die Absetzfristen der Medikamente sind erst wenig erforscht. Es gibt zwar Richtwerte, aber die können sich von Pferd zu Pferd je nach Stoffwechsel unterscheiden. So kommt es vor, dass Rest-Substanzen noch nachgemessen werden, obwohl die angegebene Richtzeit bereits vorbei ist. Bei eben dieser Null-Toleranz genügt es, dass das Pferd in der Kontrolle hängen bleibt.
- Wie läuft eine Dopingprobe ab?
Ein zentrales Büro der Anti-Doping-Agentur bestimmt den Turnierort, an dem Tests durchgeführt werden. Vor der jeweiligen Prüfung wird entweder per Los bestimmt, welches Pferd getestet wird. Oder die Pferde von den auf dem Podest Rangierten werden ausgewählt. Ein spezieller Tierarzt orientiert den Reiter nach absolviertem Parcours.
Das Pferd wird in eine vorbereitete Box gebracht. Für die Doping-Analytik will der Tierarzt primär eine Urinprobe. Ist die Box gut eingestreut, sollte ein Pferd nach der Anstrengung innert 30 bis 60 Minuten urinieren. Tritt das nicht ein, wird Blut entnommen. Die Proben werden versiegelt, bleiben anonym, werden mit einer Nummer versehen ins europäische Labor nach Newmarket (Eng) geschickt. Weltweit gibt es nur eine Handvoll anerkannte Labore für Dopingproben bei Pferden.
- Kann Guerdat die Olympia-Goldmedaille behalten?
Ja, denn selbst wenn das Doping nach dem Verfahren offiziell bestätigt würde, würde ihm höchstens rückwirkend jener Grand-Prix-Sieg in La Baule aberkannt. Auf die zuvor oder sonst gewonnenen Medaillen und Preise hätte dies keine Auswirkung. Dass nun mit Nino des Buissonnets der Gold-Wallach betroffen ist, ist ein rarer Zufall.
- Ist die EM-Teilnahme von Steve Guerdat in Gefahr?
Vom 19. bis 23. August findet in Aachen (De) die EM der Springreiter statt. Für die Schweiz die Chance, das Olympia-Ticket zu lösen. Neun Stunden vor der Dopingmeldung hat der SVPS die EM-Kandidaten bekannt gegeben. Es sind dies ausnahmsweise sechs Reiter: Pius Schwizer, Martin Fuchs, Paul Estermann, Romain Duguet, Janika Sprunger – und eben Guerdat. Dies im Wissen um die positiven Dopingtests. Dazu sagt Equipenchef Andy Kistler: «Ich gehe von Steves Unschuld aus, darum fungiert er im Aufgebot. Er liebt seine Pferde über alles und spricht sich immer gegen Doping aus.» Sowohl der Equipenchef als auch der Verband rechnen damit, dass Guerdat für die EM zur Verfügung steht.
- Wie geht der Fall nun weiter?
Obwohl auch für die FEI eine Kontamination wahrscheinlich ist, muss sie sich an die Standard-Prozedur halten. Diese sieht eine Anhörung Guerdats vor dem FEI-Tribunal vor, die bereits heute stattfindet. Guerdats Ziel dürfte sein, die Aufhebung der provisorischen Sperre zu erwirken.