Wenn Andy Rihs morgen im Begleitfahrzeug seines Rennteams mit der Tour de France durch Bern fährt und tausende von Leuten am Strassenrand stehen, und wenn er dann sieht, wie vor seinem Stade de Suisse, in dem sein Klub YB spielt, die besten Velofahrer der Welt um den Sieg sprinten, dann muss sein 73-jähriges Herz vor Freude hüpfen!
Dann muss das der emotionalste Moment im Leben des grössten Sportförderers der Schweiz sein! Dann ist das doch der Traum eines Mannes, der Milliardär ist. Und der sagt: «Geld ist Mittel zum Zweck. Am glücklichsten bin ich auf dem Sattel meines Velos.»
Geht morgen in Bern für ihn also ein Traum in Erfüllung? «Träumen», sagt Rihs, «tut man in meinem Alter nicht mehr. Träume nennt man dann Ziele.» Und Ziele hat der Mann noch viele.
Eines davon war, das grösste Rad-Spektakel der Welt in die Schweiz zu holen. Er und Berns Stadtpräsident Alexander Tschäppät haben über dieses Thema bei einem Spiel von YB mal lockere Sprüche gemacht. Die Tour in der Schweiz, das wäre doch was!
Ein Brief bringt das Ganze ins Rollen
Es hat sich eine eigenartige Zweckgemeinschaft gebildet. Der Unternehmer und der Sozialdemokrat? Geht das? «Es gibt Dogis und Pragis», sagt Rihs, «und Tschäppät ist ein Pragi.» Heisst: Der Stapi der Hauptstadt ist kein ideologischer Dogmatiker, sondern ein spontaner Pragmatiker. Einer wie Rihs, der Ideen anpackt und umsetzt.
Rihs öffnete dank seinen Beziehungen die Türen zur Organisation der Tour de France. Ein erster Brief nach Paris brachte die Sache ins Rollen. Tschäppät erledigte den Rest. Jetzt kommt die Tour nicht für einen, sondern für drei Tage.
«Der Werbe-Wert für Bern, das Wallis, ja für die ganze Schweiz ist gigantisch», sagt Rihs. «Da schauen 400 bis 500 Millionen Menschen zu. Das hat eine Bedeutung wie die Fussball-EM 2008. Die Holländer, die bei der Euro waren, kommen heute noch nach Bern. Das werden in den nächsten Jahren auch belgische und französische Touristen tun.»
Tour gleich Touristen. Rihs lacht. «Ja, Tourist kommt doch von Tour, ist doch logisch!» Und Rihs redet sich ins Fieber: «1500 Journalisten begleiten den Tross. Und sorgen für eine Medienpräsenz, die sich Schweiz Tourismus nie leisten könnte.»
«Halbe Sachen gibt es nicht»
Andy Rihs. Seine Schaffenskraft und sein Enthusiasmus für den Sport sind ungebrochen. Mit 22 Jahren ging der Zürcher Seebub nach Paris. Und hat das Leben genossen. «Schon damals habe ich gemerkt: Die Franzosen, die sind gar nicht arrogant. Das sind ganz glatti Sieche. Und Paris ist die schönste Stadt auf der Welt.»
Als Rihs aus Paris zurückkommt, übernimmt er das kleine Geschäft des Vaters. Es sieht finanziell schlecht aus. Der Konkurs droht. Was danach folgt, ist eine Erfolgsstory. Phonak, später die Sonova, wird zum Marktführer von Hörgeräten. «Ich hatte auch die richtigen Partner um mich», betont Rihs. Getreu seinem Motto: «Ohni Lüüt gaht nüüt.»
So entdeckt Rihs das Velo
Was Rihs anpackt, das tut er mit wilder Entschlossenheit. «Ich habe früh eine gewisse Radikalität entwickelt. Halbe Sachen gibt es nicht. Ich will Leidenschaft und Biss und Einsatz sehen. Im Geschäftsleben wie im Sport.»
Dann entdeckt Rihs das Velo. Er kauft einem amerikanischen Touristen für 500 Franken sein Rennvelo ab. Und wird vom Virus erfasst. «Alle guten Ideen habe ich auf dem Velo.» Er macht jährlich tausende Kilometer. «Auf dem Velo ist jeder gleich. Der CEO muss gleich viel strampeln wie der Büezer. Auf dem Velo gibt es keine Privilegien.» Der Schmerz ist vergänglich, der Ruhm bleibt ewig, das steht auf seinem Trikot.
Das Velo ist sein Ding. Mit dem Radteam Phonak wird seine Firma weltberühmt. Er löst es auf, weil Tour-Sieger Floyd Landis gedopt ist.
Jetzt hat er das Team BMC. Cadel Evans gewinnt für BMC 2011 die Tour. Rihs ist eine treue Seele. Der Australier ist auch heute noch bei ihm angestellt. «Einmal ist keinmal. Ja, ich möchte nochmals einen Tour-Sieg erleben», sagt Rihs.
Er hat mit dem Australier Richie Porte und dem Amerikaner Tejay Van Garderen zwei potenzielle Tour-Sieger im Team. Morgen aber drückt er Fabian Cancellara die Daumen. «Es wäre toll, er könnte in seiner Heimat die Etappe gewinnen.»
Das Paradies in der Provence
Rihs hat sich früh ein Haus in der Provence gekauft. Dann ist er mit dem Velo in der Gegend herum gefahren. Und hat einen ganzen Weiler erworben.
Dort hat er sich in den letzten Jahren ein Paradies geschaffen. 64 Zimmer hat seine «La Coquillade», es werden mittlerweile 130 000 Flaschen bereits hoch dekorierten Weines produziert. «La vie, le vélo et le vin» ist zu seinem Motto geworden.
Jetzt sitzt er da, nimmt eine Lavendel-Blüte, zerreibt sie zwischen den Fingern und sagt: «Das ist der Duft der Provence. Das haben wir gut gemacht, Werner.»
Werner Wunderlin, das ist sein Hoteldirektor und sein Freund. Ab und zu bläst der Mistral, wie in diesen Tagen. «Aber sonst ist das Wetter hier kein Thema. Man ist froh, wenn es mal schifft», sagt Rihs.
Ja, Andy Rihs ist Chef eines Imperiums in verschiedenen Bereichen. Seine Velofirma BMC macht mittlerweile einen Umsatz von 100 Millionen. «Es muss mehr werden», sagt er, «wir produzieren den Porsche der Fahrräder.»
Sein Rennteam, das zu den Top-Mannschaften bei der Tour de France gehört, kostet rund 25 Millionen im Jahr. Eine Grössenordnung, die auch die Berner Young Boys verschlingen. Aber bei YB ist das strukturelle Defizit weit geringer als beim Radsport. Trotzdem ist Rihs überzeugt, dass sich dieses Engagement eines Tages auszahlen wird.
Mitnehmen kann er nichts. Und er sagt: «Mir ist egal, was meine Kinder mit allem, was ich aufgebaut habe, machen. Aber diesen Weinberg hier müssen sie behalten. Guten Wein machen ist eine Generationenangelegenheit.»
«Velofahren wird auch in der Schweiz wieder zum Nationalsport»
Es ist spät geworden in der «La Coquillade». Was hat denn Andy Rihs noch für Ziele, wenn er keine Träume mehr hat? «Irgendwann mal einen Titel mit den Young Boys gewinnen. Und dann möchte ich, dass die Schweiz wieder zum Veloland wird.
Noch heute reden sie in Frankreich von Ferdy Kübler.» Rihs ist überzeugt: «In Amerika ist Velo schon das neue Golf. Die Manager im Silicon Valley schwingen nicht mehr die Golfschläger. Sie fahren Velo. Und Velofahren wird auch in der Schweiz wieder zum Nationalsport. Da bin ich überzeugt.»
Aber am Montag geniesst er jetzt mal seine Fahrt durch Bern. Auch wenn er immer schön kontrolliert bleibt und nicht ausflippen mag: Dieser Tag ist auch für einen wie Andy Rihs eine emotionale Geschichte.
Auch ein Stück verdienter Lohn für sein ungeheures Engagement im Sport. Er wird auch diesen Tag wie die meisten Tage mit einem guten Glas Wein feiern.