Vom Edelhelfer zum Teamcaptain
Stefan Küng ist jetzt der Boss

Stefan Küng (26) hat sich gewandelt. War er bei BMC ein Edelhelfer, ist er jetzt bei Groupama-FDJ der Tätschmeister. Aber läuft er nicht Gefahr, sich zu verzetteln?
Publiziert: 31.07.2020 um 16:20 Uhr
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Aktualisiert: 27.08.2020 um 21:04 Uhr
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Bei Rundfahrten ist Stefan Küng der verlängerte Arm der Sportlichen Leiter seines Groupama-FDJ-Teams.
Foto: freshfocus
Mathias Germann

Talent, Fleiss und Hingabe. Stefan Küng brachte alles mit, um im Radsport gross rauszukommen. Doch er musste lange unten durch. Stürze, Verletzungen und das Pfeiffersche Drüsenfieber bremsten ihn. Dazu kam das Team BMC – es förderte den jungen Thurgauer zuerst, traute ihm aber nicht immer viel zu. Ende 2018 spürte Küng: Es war an der Zeit, etwas zu ändern. Er wechselte nach Frankreich zu Groupama-FDJ. Und siehe da: Küng fand sein Glück. «Hier passt einfach alles», sagt er. Sein Teamchef Marc Madiot denkt gleich, er verlängerte Küngs Vertrag kürzlich bis 2023.

Tatsächlich findet Küng bei seinem neuen Team jene Nestwärme und Vertrauen, die ihm bei BMC abging. Innerhalb von nur einer Saison stieg er so zum «Hirn» der Mannschaft auf – zum Capitaine de Route, wie man in Frankreich sagt. «Dieser Titel passt ganz gut», findet Küng selbst. Der Schweizer Nationaltrainer Marcello Albasini meint: «Stefan ist kommunikativ, detailversessen und sehr hilfsbereit. Dazu kommt, dass ihm der Gewinn der WM-Bronzemedaille 2019 viel Selbstvertrauen gegeben hat. Ihm glaubt man, ihm hört man zu. Stefan ist ein Alphatier.»

Fehler ärgern ihn zutiefst

Küngs Rolle bei Groupama-FDJ ist klar definiert: Bei den Eintagesrennen ist er nicht nur Chef-Taktiker, sondern oft auch Leader. Er geniesst Freiheiten, darf auf eigene Karte fahren. Bei den Rundfahrten dagegen ist er der verlängerte Arm der Sportlichen Leiter. Auf wen muss man im Feld aufpassen? Was ist zu tun, wenn ein Teamkollege stürzt? Wie soll man sich bei Seitenwind positionieren? Küng ist Anlauf- und Auskunftsstelle. «In gewissen Situationen braucht es jemand, der sagt, was zu tun ist», so Küng.


In dieser Captain-Funktion soll Küng bei der kommenden Tour de France (29. August bis 20. September) seinen Teamkollegen Thibaut Pinot (30, Fr) zum ersten Gesamtsieg führen. Die Gegner sind hochklassig. Von Titelverteidiger Egan Bernal bis Chris Froome, von Geraint Thomas bis Primoz Roglic, von Nairo Quintana bis Tom Dumoulin – es braucht viel, um das Maillot Jaune zu gewinnen. «Ich weiss nicht, ob wir es schaffen. Sollten wir zu wenig stark sein, ist das so – damit könnte ich leben. Mit Fehlern dagegen weniger.»

Küng hilft, wo er kann

Küng ist aber nicht nur in den Rennen ein Leitwolf, sondern auch daneben. Beispiele gefällig? Im Frühling beim Trainingslager von Groupama-FDJ in der Sierra Nevada war er es, der auf dem Computer die idealen Routen heraussuchte. Verkehr, Strassengrösse, Topographie, Wetter – Küng berücksichtigte alles. «Ich mache das gern», sagt er. Und dann war noch was: Als ihm bei seinem schwedischen Teamkollegen Tobias Ludvigsson auffiel, dass dieser bei Sprints immer zuerst mit dem gleichen Bein antrat, sagte Küng: «Je nach Kurve vor der Zielgeraden ist es besser, mit dem anderen Fuss Druck auf die Pedale zu geben. Dieses Detail kann entscheidend sein.» Ludvigsson bedankte sich.

Aber läuft Küng bei all seinem Engagement nicht Gefahr, sich zu verzetteln? Albasini: «Nein. Es ist Stefans Charakter, dass er zu seinem Team schaut. Es geschieht automatisch, ohne Mühe. Gleichzeitig kann er sicher sein, dass seine Kollegen alles für ihn tun werden, wenn er sie braucht. Das ist Gold wert.»

Küngs Termine 2020:

  • Strade Bianche (1. August)
  • Mailand – Sanremo (8. August)
  • Critérium du Dauphiné (12.-16. August)
  • Tour de France (29. August – 20. September)
  • WM-Zeitfahren (20. September)
  • Gent-Wevelgem (11. Oktober)
  • Scheldeprijs (14. Oktober)
  • Flandernrundfahrt (18. Oktober)
  • Drei Tage von La Panne (21. Oktober)
  • Paris-Roubaix (25. Oktober)
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