Fast scheint es so, als ob Nikita Ducarroz’ Mutter Nicole eine Vorahnung hatte. «Wir haben den Vornamen Nikita gewählt, weil er in allen Sprachen gut aussprechbar ist», sagt die Mama bei einem Treffen im Winterthurer Skills Park. In allen Sprachen gut aussprechbar – das scheint wie gemacht für den Auftritt auf einem Olympia-Podest.
Doch an Olympische Spiele, die Spektakel-Disziplin BMX Freestyle oder Spitzensport denkt bei der Geburt von Nikita niemand. Ihr Name soll einfach die Brücke zwischen Englisch und Französisch schlagen. Die seit letztem Montag 23-Jährige kommt in Nizza auf die Welt. Die Mutter ist Amerikanerin. Der Vater, Jean-François, ist Westschweizer.
Die Familie wird in Kalifornien sesshaft. Nikita und ihre beiden jüngeren Brüder wachsen im Ort Glen Ellen auf. Die Verbindung zur Schweizer Seite der Familie bleibt aber bestehen. «Als Kinder waren wir früher jährlich sechs Wochen bei den Grosseltern», sagt Ducarroz über die Besuche in Carouge GE. «Bei uns zu Hause wurde immer auch Französisch gesprochen. Mein Vater, aber auch meine Mutter haben sich darum bemüht, dass ich den Bezug zur Schweiz behalte.»
BMX-Freestyle ist 2020 erstmals olympisch
Die lebendig gebliebene Beziehung zur Schweiz macht nun Ducarroz zu einer unserer Medaillenhoffnungen für Tokio 2020. Denn Nikita entwickelt sich in den USA zu einer der weltbesten BMX-Freestylerinnen, es geht um spektakuläre Tricks und Sprünge im Park, also auf einer Anlage mit diversen Rampen, Sprüngen und Hindernissen.
Es ist genau diese BMX-Disziplin, die nächstes Jahr erstmals an den Olympischen Spielen ausgetragen wird. Eher überraschend – aber die Olympia-Macher wollen mit jungen Sportarten junge Fans anlocken. Nikita sagt: «Selbst als es offiziell wurde, konnte ich es kaum glauben, dass wir plötzlich olympisch sind. Das ist eine Riesensache. Vor allem für uns Frauen, weil wir an den X-Games immer noch nicht dabei sind.»
Seit Mai ist Ducarroz Profi
Ducarroz will unbedingt nach Tokio. Seit ihrem College-Abschluss im Mai ist sie dank eines Sponsors Profi. An Olympia gibt es aber nur neun Startplätze – eine Nation bekommt maximal zwei. Unter den vielen starken Amerikanerinnen wird die nationale Selektion also härter als der Wettkampf in Japan selbst. Doppelbürgerin Nikita sucht deshalb den Kontakt zu Swiss Cycling. Nun wird sie vom Schweizer Verband finanziell unterstützt und mit Trainings-Knowhow beliefert.
Im Gegenzug winkt jetzt eine Medaille für die Schweiz. 2018 wird sie Weltcup-Dritte, 2019 belegt sie momentan Gesamtrang 4. «Eine Medaille in Tokio ist mein Ziel», sagt Ducarroz.
Mit 12 Jahren hatte sie Angstzustände
Doch einen grossen Sieg hat Nikita dank des BMX schon gefeiert, lange bevor sie ihren ersten Contest gefahren ist. Mit 12 Jahren bekommt sie Angstzustände. Sie getraut sich nicht mehr aus dem Haus, kann nur noch die eigene Familie sehen. Ihren Schulstoff büffelt sie von zu Hause.
Die Eltern akzeptieren die schwierige Teenager-Phase unter einer Bedingung: Die Tochter muss einen Sport machen. Da entdeckt Nikita auf Youtube BMX-Videos. «Das wollte ich ausprobieren. Ich habe Geld gespart für ein BMX-Rad und habe mit 14 Jahren begonnen, damit zu fahren.»
Das kleine Velo erlöst sie aus ihrer dunklen Lebensphase. Ducarroz: «Es hat mir so viel Spass gemacht, dass ich immer öfter in den Skatepark gegangen bin. Irgendwann habe ich mich zum ersten Contest angemeldet. Ich habe nie erwartet, dass ich in diesem Sport gut bin. Ich bin einfach voll reingeraten! BMX war für mich eine Lebensschule.»
Und jetzt kann dieses einst ängstliche Mädchen sogar von Olympia-Edelmetall träumen.