Uns gehen die Profis aus
Dunkle Wolken über dem Schweizer Radsport!

Das Schweizer IAM-Team ist verschwunden. Ende Jahr hört auch das mit Schweizer Franken gefütterte BMC-Team auf. Einheimische Radprofis werden rar. Krise herrscht! Und auch Geld ist keines da.
Publiziert: 25.03.2018 um 10:54 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 16:13 Uhr
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Gregory Rast ist bereits 38 Jahre und einer von nur 12 Schweizern in den World-Tour-Teams.
Foto: AFP
Hans-Peter Hildbrand

Ja klar, da gibt es noch das in Genf gemeldete Team Katjuscha-Alpecin. Es ist aber fast eine deutsche Nationalmannschaft (Marcel Kittel, Tony Martin, Rick Zabel), geführt von Russen. Mit dem Thurgauer Reto Hollenstein (32) als einzigem Schweizer. Und der muss mit gebrochenem Ellbogen sicher sechs Wochen pausieren. Auch aus dem Rennen ist Silvan Dillier (27) mit seinem gebrochenen Finger.

Schweizer Radprofis auf der höchsten Ebene (WorldTour) werden rar. Gar einsam fühlt sich Gregory Rast Anfang März. Als einziger Radgenosse fährt er das Etappenrennen Paris–Nizza. «Ich konnte mit keinem mehr Schwyzerdütsch reden», sagt der Zuger schmunzelnd.

Er war mit 38 auch der älteste Starter im 153-köpfigen Feld. Trotzdem will er erst 2019 seine letzte Saison fahren – wenn er überhaupt noch einen Vertrag erhält.

BMC hört Ende Saison auf

Insgesamt 12 Radgenossen verdienen 2018 in sechs verschiedenen WorldTour-Teams ihr Geld. Rund die Hälfte ist älter als 31-jährig. Die jüngsten sind Tom Bohli, Kilian Frankiny und Stefan Küng (alle 24). Sie fahren für BMC wie ihre älteren Kollegen Michael Schär (31), Danilo Wyss (32).

Ihr Team wird im Dezember nach zwölf Jahren seinen Hauptsponsor (Andy Rihs) verlieren. Wie geht es weiter? Anfang Mai wissen die Fahrer mehr. Noch ist die Saison jung – der Überlebenskampf der fünf Radgenossen hat längst begonnen.

Wer in der Schweiz auf der Strasse fährt, hat es schwer. Der Rennkalender ist ausgedünnt, die Velo-Vereine sind überaltert. Strassenrennen zu organisieren, ist fast nicht mehr möglich. Die administrativen Hürden sind hoch, die Kosten für die Streckensicherung teuer.

Für Kurt Steinmann (56), früherer TdS-Etappensieger, ist der Grund aber ein anderer: «Wir haben zu wenig Rennfahrer. Daraus ergibt sich: zu wenig Rennen, folglich auch weniger Mannschaften. Wer sich für die Elite-Amateure qualifiziert, findet kein Team.» Auch fänden die Kinder nicht mehr den Weg aufs Velo. «Und haben wir dann mal einen guten Rennfahrer, ist der meistens mit dem Moutainbike unterwegs.»

Kurt Steinmann (56) ist Ex-TdS-Etappensieger.

Ex-Coach klagt über schwaches Niveau

Biken ist in, ist lässig – und im Gelände klar weniger gefährlich als im Strassenverkehr.

Kurt Bürgi (61), früherer Nationalcoach mit 25 Jahren Trainererfahrung, beklagt das schwache Niveau: «Bei den Junioren haben wir Felder von 30 Fahrer. Bei einem Strassenrennen lernen sie kein Positionsfahren mehr. Sie fahren auf den breiten Strassen in zwei Reihen – und fertig. Bei den Elite-Amateuren sind vielleicht 70 Fahrer am Start. Wenn du 20. bist von 70 Fahrern, ist das kein Leistungsausweis nur eine Teilnahmebescheinigung. Fahren die dann im Ausland, gehen sie unter, gewinnen nichts.»

Thomas Peter (39), Technischer Direktor von Swiss Cycling, sieht die Nachwuchsbewegung nicht ganz so kritisch. Hart ins Gericht geht er mit den Profis, den Aushängeschildern. Gar haarsträubend findet er, wie das Rennen Mailand–Sanremo gefahren wurde.

«14 WorldTour-Teams wissen, dass sie im Sprint nichts verloren haben. Doch niemand macht etwas – alle schauen nur zu. Sie wissen, dass sie nicht alle am Poggio mitfahren können, aber keiner riskiert was. Man wartet und wartet auf den Feierabend. Ja, es war am Morgen noch ein bisschen kalt und hat geregnet. Aber die haben zu wenig Druck, keine Leidenschaft mehr und zu grosse Löhne. Die verdienen Geld, wenn sie Posts machen – und nicht weil sie Rennen gewinnen.»

Schweiz braucht wieder ein Team

In einem Punkt sind sich alle einig: Die Schweiz braucht wieder ein Profi-Team. Mindestens auf zweithöchster Stufe (Kontinental Pro). Ein Team wie einst Phonak (in den Gründerjahren) oder das Post Swiss Team.

Kurt Bürgi, von 2000 bis 2001 Team-Inhaber und -Manager des Post Swiss Teams: «Die besten Schweizer können die Tour de Suisse und die Tour de Romandie fahren. So ein Team kostet 2 bis 2,5 Millionen Franken im Jahr.» Im Vergleich: Das BMC-Team hat ein Jahresbudget von gut 28 Millionen Franken!

So oder so. Ob Probleme mit dem Renn-Kalender, mit zu wenig guten Rennfahrern, mit wenig Nachwuchs  – der Schweizer Radsport muss stets auf Ausnahmekönner hoffen. Marc Hirschi und Stefan Bissegger (beide 19) sind zwei. Der langjährige Nationaltrainer Marcello Albasini (61) sagt: «Die Guten finden immer einen Weg!»

Langjähriger Nationaltrainer: Marcello Albasini.
Foto: KATHI BETTELS

Mountainbike boomt dank Frischknecht

Es ist eine Trotzreaktion gegen seinen Vater Peter. Thomas Frischknecht entscheidet sich 1990 für mehr Spass – und wird «Mr. Mountainbike».

Der heute 48-jährige Zürcher aus Feldbach holt bei der olympischen Premiere im Mountainbike 1996 in Atlanta (USA) Silber. Wird im gleichen Jahr Weltmeister und gewinnt mehrmals den Montainbike-Gesamtweltcup. Auch der Olympiasieger und sechsfache Weltmeister Nino Schurter (31) ist überzeugt: «Ohne Frischi wäre der Mountainbike-Sport in der Schweiz heute niemals da, wo er ist.»

Noch heute ist Thomas Frischknecht als Teammanager, Trainer und Berater in seiner Sportart unentbehrlich. «Ich musste mich entscheiden: entweder Strasse oder die Trendsportart Mountainbike», blickt er zurück. 1990 hat er sportlich zwei Optionen. «Mit Pascal Richard, Laurent Dufaux und Beat Zberg ins Helvetia-Team von Paul Köchli – oder Mountainbikefahrer in Amerika.»

Er entscheidet sich für Amerika. Es ist auch eine Trotzreaktion gegen seinen Vater Peter. «Man sah in mir immer nur den Sohn des Radquer-Fahrers Frischknecht  – das hat mich mit der Zeit 'angegurkt'. In den USA dagegen war ich Thomas Frischknecht.»

Aus der Fun-Sportart wird schnell ein knallharter Spitzensport. Und Frischi ist immer ganz vorne dabei. Doch er gewinnt auch noch auf dem Asphalt: 1995 zwei Etappen am GP Tell.

Ein Jahr später zeigt er erneut seine Klasse. Nur einen Tag nach dem Gewinn der olympischen Silbermedaille in Atlanta auf dem Mountainbike war seine Flexibilität gefragt. Weil Tony Rominger verzichtet, wird Frischi auch noch für das Strassenrennen nominiert. Mit Einsatz und Klasse hilft er Pascal Richard auf den Weg zur Goldmedaille.

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