Transsexuelle Rad-Queen im Interview
«Ich werde auf Social Media angegriffen und beschimpft»

Die Kanadierin Rachel McKinnon ist Bahnrad-Weltmeisterin – als erste Trans-Frau in der Geschichte. Im BLICK-Interview sagt sie, wie sie sich seither rechtfertigen muss.
Publiziert: 31.10.2018 um 12:24 Uhr
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Aktualisiert: 31.10.2018 um 17:34 Uhr
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Nicht weiblich? Rachel McKinnon wird nach dem Gewinn der WM-Goldmedaille hart kritisiert.
Foto: Instagram
Emanuel Gisi

BLICK: Rachel McKinnon, Sie sind als erste Trans-Frau Rad-Weltmeisterin geworden. Wie war die Party?
McKinnon
, Sie sind als erste Trans-Frau Rad-Weltmeisterin geworden. Wie war die Party?
: Ich bin noch kaum zum Feiern gekommen. Die letzten Tage habe ich vor allem Interviews gegeben, viele Medien wollten etwas, nachdem das Bild von mir auf dem Podest um die Welt gegangen ist. Und ich habe ganz normal unterrichtet, ich bin ja hier in Charleston Professorin an der Universität. Es hat ein paar Tage gedauert, bis ich mit meinen Freunden anstossen konnte.

Sie sehen auf dem Sieger-Bild, das Sie in den sozialen Medien gepostet haben, grösser, breiter und stärker aus als ihre Konkurrentinnen. Seither sind Sie daran, sich zu entschuldigen, zu beruhigen, zu erklären…
… entschuldigen ist das falsche Wort. Ich entschuldige mich sicher nicht!

Aber Sie weisen zum Beispiel darauf hin, dass Sie vor dem WM-Triumph bei weitem nicht alle Rennen gewonnen haben.
Das stimmt. Viele Leute scheinen Angst zu haben, dass nun die Trans-Frauen kommen und den Frauen-Sport dominieren. Das ist nicht so. Das IOK lässt Transpersonen seit 2003 an Wettkämpfen zu. Wir sind also seit mehr als einem Jahrzehnt dabei – und gewinnen überhaupt nicht die ganze Zeit. Es hat noch nie ein Trans-Mann oder eine Trans-Frau eine olympische Medaille gewonnen. Die Schlagzeilen nach meinem Sieg haben nun einfach ein paar Leute aufgeweckt, die darauf warten, uns Trans-Menschen anzugreifen, weil wir nicht in ihr Weltbild passen. Und es gibt halt immer noch die, die Angst haben.

Woher kommt diese Angst?
Ich glaube, das ist in gewisser Weise normal, wenn Minderheiten mehr Rechte bekommen. Dann fühlen sich manche Menschen verunsichert und schlagen zurück. In den letzten fünf Jahren haben wir grosse Fortschritte gemacht, was die Rechte von Trans-Menschen angeht. Ich vergleiche unseren Kampf ungerne mit der Gleichberechtigung von Schwarzen und Weissen – aber auch da beobachtet man, dass die Anzahl gewalttätiger Übergriffe auf Dunkelhäutige zunehmen, wenn diese wieder mehr Rechte bekommen haben. Das ist wohl einfach so, traurigerweise.

Wie merken Sie das?
Viele – nennen wir sie konservative – Medien schreiben negativ über das Thema. Und auf Social Media werde ich angegriffen und übel beschimpft.

Die drittplatzierte Jennifer Wagner hat sich nach dem Rennen darüber beklagt, dass es nicht fair sei, dass Sie zugelassen wurden. Dann hat sie sich entschuldigt. Sie haben die Entschuldigung abgelehnt. Giessen Sie da nicht unnötig Öl ins Feuer?
Überhaupt nicht. Sie hat sich ja nur dafür entschuldigt, dass Sie sich öffentlich beschwert hat. Aber sie sagt, sie wolle hinter den Kulissen weiterkämpfen, dass die Regeln geändert würden. Sie weiss ja auch, dass ich mich an die Regeln gehalten habe. Mein Testosteronspiegel ist zum Beispiel extrem tief.

Das klingt, als ob Sie die Regeln nicht nachvollziehen können.
Zum Teil kann ich das auch nicht. Der Internationale Leichtathletikverband IAAF hat bei den Weltmeisterschaften 2011 und 2013 untersucht, welchen Einfluss der Testosteronspiegel von Athleten auf deren Leistung hatte. Das Ergebnis: Es gab keinen kausalen Zusammenhang. Das könnte man also überdenken. Aber wie gesagt: ich habe mich auch so an die Regeln gehalten.

Fühlen Sie sich vom Rad-Weltverband genügend verteidigt?
Überhaupt nicht! Die UCI hat zwar ein Statement veröffentlicht, in dem bestätigt wurde, dass ich mich an die Regeln gehalten habe, die das IOC aufgestellt hat. Aber darüber hinaus nichts. Als ob man Angst hätte, sich zu exponieren. Da wünsche ich mir mehr Mut. Ich erinnere daran, was es in der Olympischen Charta heisst: Die Ausübung von Sport ist ein Menschenrecht.

Waren Sie zuerst Aktivistin oder zuerst Sportlerin?
Sportlerin! Ich mache Sport, seit ich drei Jahre alt bin. Ich habe zuhause in Kanada mit drei Jahren schon auf Golfbälle eingedroschen und damit Fensterscheiben eingeschlagen. Dann habe ich auf relativ hohem Niveau Badminton gespielt. Und als ich vor ein paar Jahren in die USA gekommen bin, habe ich mit Radfahren begonnen. Ich wurde Aktivistin, weil ich mich als Trans-Frau verteidigen muss. Nicht umgekehrt.

Haben Sie sich eigentlich mal überlegt, die Kritiker Kritiker sein zu lassen und nicht auf die Diskussion einzutreten? Das WM-Trikot haben Sie nun ja.
Überlegt habe ich es mir. Aber es passt nicht zu meiner Persönlichkeit. Und ich will mich auch für die Trans-Menschen einsetzen, die es sich vielleicht nicht leisten können, sich zu exponieren. Ich habe einen gut bezahlten Job, der ausserdem ziemlich sicher ist. Das kann nicht jede Trans-Frau, jeder Trans-Mann von sich behaupten. Ich kämpfe für sie alle.

Gegnerin beschwerte sich über McKinnon

Rachel McKinnon hat Mitte Oktober in Los Angeles (USA) als erste Transsexuelle den Bahnrad-Weltmeister­titel gewonnen. Die 36-jährige Kanadierin, im Alltag Philosophie-Professorin an der Universität von Charleston im US-Bundesstaat South Carolina, war in der Altersgruppe der Über-35-Jährigen schneller als die Niederländerin Carolien Van Heerikhuizen und die Amerikanerin Jennifer Wagner. Letztere äusserte sich nach McKinnons Sieg kritisch darüber, dass diese teilnehmen durfte. «Das ist nicht fair», so Wagner.

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