Der Horror-Sturz von Chris Froome (34) bewegt die Rad-Welt. Und macht auch nicht vor der Tour de Suisse Halt. Bei seinem Team Ineos rauchen die Köpfe. Was machen wir jetzt? Wie verteilen wir die Rollen neu? Im Fokus stehen die beiden besten verbliebenen Fahrer, der letztjährige Tour-de-France-Sieger Geraint Thomas (33) und die kolum- bianische Hoffnung Egan Bernal (22).
In einem schmucklosen Hotel in Autobahnnähe reden die zwei erstmals über die neue Situation. Sieben Journalisten wurden eingeladen. Sie lauschen zuerst Bernal. «Es ist wirklich schlimm, was mit Chris passiert ist. Wir hatten dieses Jahr im Team viele Stürze und Verletzungen, ich fiel ja bereits für den Giro aus. Und nun dies.»
Er könne noch nicht sagen, wie die Team-Taktik für die Tour de France (6. bis 28. Juli) aussehen werde, so Bernal. Da müsse man zuerst mit Team-Boss David Brailsford reden. «Ich werde es respektieren, wenn er meint, dass Geraint der einzige Leader ist. Denn ich bin erst 22, habe noch viele Jahre vor mir. Es geht um Vertrauen. Momentan mache ich mir keinen Stress.»
«Wir haben als Team nur eine Option weniger»
Bernal weiss: Wie man in den Wald hinein ruft, schallt es heraus. Vor allem bei Ineos (früher Sky) – einem Team, das gerne grossspurig auftritt, zuweilen arrogant wirkt und auch intern knallhart sein kann.
Bernal übt sich also in Vorsicht. Obwohl er schon bei der letztjährigen Tour de France in den Bergen der Stärkste war und nur allzu gerne angegriffen hätte. Damals hielt er sich zurück, half Froome und wich später auch Thomas nicht von der Seite. Ein Hintertürchen lässt sich Bernal diesmal allerdings offen. «Wer weiss schon, was auf der Strasse passieren wird?»
Bis vor wenigen Tagen war klar, dass Ineos mit einer Froome-Thomas-Doppelspitze antreten würde. Doch nun liegt Froome im Spital. Er brach sich beim Besichtigen des Daphiné-Zeitfahrens Nacken, Becken, Ellenbogen und Oberschenkel.
Thomas erzählt, wie er von seinem Unfall erfuhr: «Ich war zu Hause in Monaco, kam gerade zurück vom Training. Da schaute ich aufs Handy und sah eine Nachricht von unserem Pressemann. Ich konnte kaum glauben, was da stand. Es war ein grosser Schock.» Zunächst habe er nicht gewusst, was er denken sollte. Kurz darauf rief er Froomes Frau Michelle an, um ihr Mut zuzusprechen. Gleichzeitig wusste er: «Ich hatte auch schon üble Stürze. Aber ich fuhr noch nie in eine Hauswand. Es ist furchtbar.»
Thomas freut sich nicht, dass er nach Froomes Ausfall in der Ineos-Hierarchie eine noch geschütztere Rolle hat. «Wir haben als Team nun eine Option weniger.» Was Bernal und einen möglichen internen Kampf angeht, winkt Thomas ab. Er sagt nur: «Egan ist ein super Fahrer, ein Riesentalent.»
Eine Tour de France ohne Chris Froome. Viele werden sich freuen, denn die Herzen der Fan-Masse eroberte er nie – auch wegen ständiger Doping-Gerüchte. Trotzdem müssen sich alle zuerst an die neue Situation gewöhnen.