Marie-Odile Amaury regiert die Tour de France
Königin des Radsports ist 80 und mag Heavy Metal

Man sieht sie fast nie, man hört sie fast nie. Marie-Odile Amaury (80) ist trotzdem allgegenwärtig. Die Französin ist Chefin von Tour- Organisator ASO. Ihre Macht ist problematisch.
Publiziert: 12.09.2020 um 12:10 Uhr
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Marie-Odile Amaury ist die Chefin von ASO, dem Organisator der Tour de France.
Foto: imago/PanoramiC
Mathias Germann

Die Tour de France ist das grösste Radrennen der Welt. Ein französisches Nationalheiligtum, ähnlich wie der Eiffelturm. Wer die Rundfahrt gewinnt, hat einen Platz in den Geschichtsbüchern auf sicher. Bei der Tour ist alles grösser, wichtiger, mächtiger als irgendwo sonst. Der Gigantismus macht den Wettkampf attraktiv.

Gleichzeitig ist er auch gefährlich: Der Rad-Zirkus lebt von der Tour, geschätzt 70 Prozent der Visibilität jedes World-Tour-Teams werden in den drei Frankreich-Wochen gemacht. Tendenz steigend.

Kein Wunder also, dass die Tour trotz steigenden Corona-Zahlen durchgeboxt wird, während reihenweise Events die Segel streichen. Kasse machen aber nicht nur die Teams, sondern vor allem Organisator ASO.

ASO steht für «Amaury Sport Organisation». An ihrer Spitze ist Marie-Odile Amaury, die das Familienunternehmen mit strenger Hand führt und Euro um Euro scheffelt. Der 80-Jährigen gehören gemeinsam mit ihren Kindern Aurore und Jean-Etienne 100 Prozent des Unternehmens. Die ASO hat nicht nur die Tour im Portfolio, sondern auch Paris–Roubaix und Lüttich–Basto­gne–Lüttich, zwei Rad-Monumente.

Tour-de-Suisse-Chef Senn kritisiert ihre Macht

Und seit kurzem ist auch die Vuelta bei der ASO – zwei der drei Grand Tours im Radsport laufen also über Amaurys Firma. Dazu kommen unter anderem der Dauphiné, die Deutschland-Tour, Rennen im Oman und in Saudi-Arabien. Die ASO stemmt auch andere Events, zum Beispiel im Motorsport («The Dakar») oder Golf («Ladies Open de France»).

Damit ist die ASO – so behaupten viele – mächtiger als der Radweltverband UCI. Krasser ausgedrückt: Die UCI frisst der ASO, und damit auch der hageren 80-jährigen Amaury, aus der Hand. Dass die ursprünglich in Aigle/Martigny geplante WM bereits am letzten Tour-Tag begonnen hätte (und damit ohne viele Stars) – sagt viel aus über die Machtverhältnisse. Das Motto: Zuerst kommt die Tour, dann die Tour und zuletzt die Tour. Olivier Senn, Direktor der Tour de Suisse, kritisiert: «Die ASO hat eine enorm starke Position und auch politischen Einfluss. Für den Sport ist das problematisch, eine konstruktive Diskussion unter Veranstaltern darum schwierig.»

Sie kassiert und schweigt

«Ich bewundere bei Sportlern diese geballte Leidenschaft, die über alle Normen hinausgeht und wo sich der einzelne bis zum Exzess engagiert», sagte Amaury einmal. Viel mehr erfahren aber auch die meisten Franzosen nicht von ihr – sie gibt kaum Interviews.

Überliefert ist, dass die Tour-­Patronin Heavy Metal mag, einen bescheidenen Peugeot 308 fährt und fast 300 Millionen Euro auf dem Bankkonto hat. An die Spitze des ASO-Konzerns gelangte Amaury 2006, kurz nachdem ihr Mann gestorben war. An der Tour scheffelt sie vor allem durch den Verkauf der TV-Rechte Geld – 70 Prozent des Umsatzes von geschätzt 400 Millionen Euro kommen so rein. Was Amaury zusätzlich freuen durfte: Bei der Tour 2020 bewegen sich die Einschaltquoten – wohl auch wegen der Corona-Pause – auf einem Rekordhoch. Aumaurys Macht ist aber noch weiter gefächert. Sie besitzt auch die renommierte Zeitung «L’Équipe», die in Frankreich als Sportbibel gilt. Damit kontrolliert sie weitgehend, wie über die Tour berichtet wird. Heisst: Negatives hat selten Platz – das gilt auch für Dopingverdächtigungen. «Über Doping muss berichtet werden, wenn es neue Affären gibt, aber nicht als Thema an sich», findet Amaury.

Die Elsässerin gilt weitgehend als sparsam, ja knauserig. Exemplarisch dafür stehen die Preisgelder an der Tour: 2,3 Millionen Euro werden ausgeschüttet. Der Gesamtsieger erhält 500'000 Euro, ein Etappensieger 11'000 Euro. Pro Tag im Gelben Leadertrikot gibts 500 Euro, der Bergkönig erhält täglich 300 Euro. Das ist zwar innerhalb des Sports das Nonplusultra – für viele könnte es aber mehr sein. Zum Vergleich: Die French Open hatten 2019 Preisgelder in der Höhe von 42,6 Millionen Euro. Wer die erste Runde überstand, erhielt dafür 46'000 Euro.

Der Radsport ist längst in den Fängen der ASO. Und damit auch von Marie-Odile Amaury. Sie ist die mächtigste Frau im Rad-Zirkus.

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