Stefan Küng ist ein Perfektionist. Die Position auf dem Sattel? Die Anzahl Watt pro Pedalumdrehung? Die Menge Eiweiss pro Mahlzeit? Nichts überlässt er dem Zufall. «Jedes Detail kann letztlich über Sieg oder Niederlage entscheiden», sagt er. Doch nun wartet Küng auf etwas, das er nicht kontrollieren kann. Von dem er nicht weiss, was ihn erwartet. «Und genau so ist es perfekt – einfach auf eine andere Art. Ich freue mich riesig darauf, Vater zu werden.»
Im Juni ist es so weit. Der Geburtstermin ist kurz vor Beginn der Tour de Suisse (12.– 19. Juni). «Die Natur entscheidet letztlich. Sicher ist, dass die Familie wichtiger ist als ein Velorennen. Ich würde die Tour de Suisse sofort verlassen, wenn das Kind kommt», so der Thurgauer. Das Kind? «Es wird ein Bub», verrät Küng. Noch vorher wird er seine Céline heiraten. «Zivil. Vielleicht machen wir später einmal ein grösseres Fest», so der erfolgreichste Schweizer Rad-Profi der Gegenwart (22 Siege).
Man merkt im Gespräch sofort: Küng ist glücklich. Auch wenn er nicht weiss, was ihn erwartet. Oder vielleicht gerade deshalb? «In meinem Beruf plane ich alles. Nun aber lasse ich mich treiben und überraschen», sagt er. Hat er nicht Angst, dass ihn sein Kind langsamer – oder zumindest vorsichtiger – machen wird? Immerhin heisst es bei Skifahrern und Motorsportlern, dass man pro Kind eine Sekunde einbüsst. «Beat Feuz wurde nicht langsamer», wendet er schmunzelnd ein.
Und fügt an: «Im Radsport sagt man eher, dass man eine gute Saison hat, wenn man Vater wird.» Das ist bereits der Fall. Küng ist noch nie so stark gefahren, seit er 2015 Profi wurde. Bei der Flandernrundfahrt wurde er Fünfter, beim Amstel Gold Race Achter und bei Paris–Roubaix Dritter. «Früher wollte ich ab und zu mit dem Kopf durch die Wand. Nun bin ich älter und gelassener geworden. Auch wenn ich noch nicht Vater bin, so hat die Schwangerschaft von Céline wohl auch damit zu tun.»
An seinem Ehrgeiz würde dies nichts ändern, betont er. «Vater zu werden, ist ein Privileg, es gibt mir zusätzliche Energie. Und auch wenn ich pro Jahr fast 200 Tage in Trainingslagern oder bei Rennen bin, werden wir das hinkriegen. Unsere Familien unterstützen uns sehr. Und sobald ich zu Hause bin, zählt nur mein Sohn – dann ist der Radsport von einer Sekunde auf die andere weit weg. Auch das wird mir guttun.»