Marcel Wyss (28) hat zugelegt. Er ist breiter geworden – und doch zeigt die Waage 63 Kilo an, bei 1,77 m Grösse. «Im Bereich der Schultergürtel hat sich mein Krafttraining im Winter ausbezahlt», sagt der Emmentaler. «Ein Kilo mehr als mein Kampfgewicht an der Tour de France.»
Marcel Wyss hat seinen Humor wieder gefunden. Bei ihm haben die Ärzte eine sehr seltene Tumorart diagnostiziert. Sie ist zwar nicht bösartig. Der Tumor kann aber schnell wachsen, umhüllt Muskeln und Organe. Nur selten bildet er sich von alleine zurück. Ende September letzten Jahres wird er neun Stunden operiert.
Nicht nur der Tumor, auch die untersten drei Rippen werden entfernt und ein Teil seiner Bauchmuskeln. «Rumpfbeugen kann ich keine mehr machen.» Wyss wirkt gefasst, wenn er davon erzählt. «Ich muss mich beim Gehen sehr konzentrieren. Damit ich aufrecht laufe und nicht zusammengekrümmt wie ein alter Mann.»
Doch bereits zwei Wochen nach der Operation setzte sich der IAM-Fahrer wieder aufs Velo. Schwierigkeiten hat er nur beim Sprint. «Zum Glück bin ich eher der Bergfahrer, sonst wäre jetzt meine Karriere wohl vorbei.»
Das war sie eigentlich schon einmal. Wyss war 2009 das «sensationelle Talent», das Manager Thomas Campana (Sz) damals ins Cervelo-Team holte. Ein Jahr später wird er Achter und bester Schweizer an der Tour de Romandie.
Dann der kapitale Riss in seiner Karriere. Beim GP Gippingen verheddert sich ein Konkurrent mit dem Lenker in seinem Sattel – beide stürzen. «Ausgerechnet im Aufstieg zum Loorholz, der langsamsten Stelle des ganzen Rennens.»
Der Berner gibt auf. Seine tiefe Kniewunde wird im Spital genäht. «Doch die Schmerzen waren mir für eine normale Fleischwunde zu stark.» Eine genauere Untersuchung bringt es an den Tag: Die Patella-Sehne (verbindet die Kniescheibe mit dem Unterschenkel) wurde beim Sturz durchtrennt. Doch er kommt wieder zurück, wird Zehnter an der Tour de Romandie.
Alles stimmt für Wyss vor der Tour de Romandie
«Es ist mein Rennen», glaubt Wyss. «Die Jahreszeit stimmt, die Länge des Rennens und auch die Topografie.» Stimmen tun bei ihm auch die nackten Zahlen, seine Leistungswerte. Aber nach der langen Rennpause und dem harten Höhen-Trainingslager in der Sierre Nevada wird ihm heute beim Start zur 69. Tour de Romandie sicher der Rennrhythmus fehlen.