Sie kennt ihren Körper sehr genau. Und muss trotzdem kapitulieren. Oder gerade deswegen. Marlen Reusser, die ausgebildete Ärztin, muss ihren Traum von einer olympischen Goldmedaille in Paris begraben. Das schmerzt. Nicht nur sie, sondern auch Swiss Olympic, Swiss Cycling und alle Schweizer Velo-Fans. Schliesslich hätte Reusser in Normalform zu den heissesten Anwärterinnen auf den Zeitfahrsieg gezählt.
Verpasst sie damit ihre letzte Chance auf einen Olympiasieg? «Ich weiss nicht, ob ich 2028 in Los Angeles noch dabei sein werde», sagte mir Reusser Anfang Jahr in Davos GR. Sie wäre dann 36 Jahre alt. Ein Problem? Nein. «Aber es gibt noch so viel anderes im Leben neben dem Velofahren, das mich interessiert», meinte sie mit strahlenden Augen. Genau diese Begeisterungsfähigkeit ist es, die viele an Reusser schätzen. Dass sie überzeugte Vegetarierin ist? Dass sie einst Präsidentin der jungen Grünen in Bern war? Dass sie mitten im letzten WM-Zeitfahren aufgab («Ich hatte keinen Bock mehr»)? Nicht alle sind stets mit ihren Ansichten und Aktionen einverstanden. Aber das fordert sie auch nicht ein, Reusser will niemanden bekehren – vielmehr scheut sie sich nicht, ihre Überzeugungen auch abseits der Velorennen kundzutun.
Reussers Olympia-Aus ist bitter. Eine Tragödie ist es jedoch nicht. Sie selbst betonte schliesslich immer wieder: «Ich liebe meinen Sport. Aber es gibt Wichtigeres auf der Welt – viel Wichtigeres.» Recht hat sie. Und schliesslich wartet Ende September die Heim-WM in der Schweiz. Das Regenbogentrikot würde ihr besonders gut stehen.