Es war der grosse Aufreger beim Radklassiker am Sonntag. Ein Bahnübergang in der nordfranzösischen Pampa knapp 90 km vor dem Ziel. Fallende Schranken. Radprofis, die nur Sekunden vor einem nahenden TGV noch die Gleise überqueren. Lebensgefährlich – und regelwidrig!
Einer der wenigen, die vor der Schranke halten, ist Martin Elmiger (36). «Weil ich im hinteren Teil des Feldes fuhr, musste ich anhalten. Wäre es wie bei uns daheim ein einteiliger Schlagbaum gewesen, wäre keiner da durchgefahren. Aber so konnten viele im Slalom durch», sagt der Zuger.
Zu diesen Hasardeuren gehören auch die vier Fahrer, die als einzige am Ende vor Elmiger liegen: Sieger John Degenkolb (De), Zdenek Stybar (Tsch, 2.), Greg van Avermaet (Be, 3.) und Lars Boom (Ho, 4.). Hätte man sie gemäss UCI-Reglement nachträglich disqualifiziert, Elmiger hätte die Pavé-Trophäe für den Roubaix-Sieg erben müssen.
Dass der Weltverband den Regelverstoss durchgehen lässt, hat einen Beigeschmack. Laut Jury-Präsident Guy Dobbelaere wäre «für die Führenden eine sichere Bremsung nicht mehr möglich gewesen, da man nur zehn Meter vom Bahnübergang entfernt war, als sich die Schranke schloss.»
Obwohl in einem ähnlichen Fall 2006 durchaus schon Disqualifikationen ausgesprochen wurden, wäre eine solche Massnahme laut Dobbelaere diesmal «ungerecht» gewesen. Begründung: Man hätte nicht alle eindeutig identifizieren können. Die Aufnahmen des TV-Helikopters lassen das zweifelhaft erscheinen.
Elmiger nimmt die Kollegen jedoch in Schutz. «Der Radprofi ist wie ein Herdentier: Wenn einer geht, gehen alle! Und es ist Paris–Roubaix, da will keiner an einer Barriere das Rennen verlieren.» 20 Sekunden kostet den Schweizer Meister sein Warten. «Ich habe dann erst mal nach links und rechts geschaut. Ich bin ja nicht lebensmüde, ich habe Familie.»
Derweil hat die französische Bahngesellschaft SNCF eine Strafanzeige angekündigt. In der Mitteilung heisst es: «Millionen TV-Zuschauer konnten diesen extrem schweren und unverantwortlichen Verstoss sehen, der tragisch hätte enden können.»