Irgendwann ist alles zu viel. Geraint Thomas (32) kann nicht mehr, die Tränen kullern über seine Wangen. «Ich weiss gerade nicht, wie mir geschieht. Das letzte Mal, dass ich geweint habe, war an meiner Hochzeit», sagt der Tour-de-France-Sieger. «Es ist ein Traum, absolut verrückt.»
Wenige Meter daneben steht seine Frau Sara, sie ist gerührt. Im Oktober 2015 gaben sich die beiden das Ja-Wort, seit elf Jahren sind sie ein Paar. «Es war nicht gerade Liebe auf den ersten Blick. Die ersten Male, als ich Geraint traf, hatte er einiges intus», erinnert sich Sara.
Tatsächlich ist Thomas Alkohol und Partys nicht abgeneigt. «Er liebt es zu trinken, wenn es etwas zu feiern gibt», sagt sein langjähriger Trainer Rod Ellingworth. Das ist nach dem grössten Erfolg seiner Karriere definitiv der Fall. Und diesmal muss er – im Gegensatz zu 2005 – auch keine Strafe befürchten. Damals blickte «G» an seinem 19. Geburtstag viel zu tief ins Glas. «Ich strich ihn darum aus dem Aufgebot für ein Rennen, welches er das Jahr zuvor gewonnen hatte», erinnert sich Ellingworth. «Geraint war danach am Boden zerstört.»
Thomas lernte seine Lektion. «Einige meiner Kollegen ausserhalb des Radsports streiften am Alkoholismus vorbei. Ich habe mich entschieden, das sein zu lassen und Gewicht zu verlieren», sagte er. Die Folge: Thomas wurde in der Bahn-Mannschaftsverfolgung dreimal Weltmeister (2007, 2008, 2012), dazu kamen zwei Olympiasiege (2008, 2012). Es folgte der Wechsel auf die Strasse und bald zu Sky. Da war Thomas jahrelang Helfer. Bis heute. Jetzt ist er ein Champion.
Sein Geheimnis? Thomas ist unglaublich fleissig. Und er hat die schlechten Gewohnheiten von früher, nicht aber seine Lockerheit verloren. «Ich lasse mich nicht stressen. Es ist nur ein Radrennen. Es ist nicht so, als würden wir nach Afghanistan fahren oder so. Dort geht es ums Überleben.»
Es sind Aussagen, die Thomas nahbar machen. Und ihn von seinem Teamkollegen Chris Froome (33) unterscheiden. Oder könnten Sie sich vorstellen, dass Rad-Asket Froome sagen würde: «Müsste ich 24 Stunden am Tag wie ein Mönch leben, würde ich durchdrehen!» Kaum.
Ein Lebemann ist Thomas deswegen noch lange nicht. Ex-Profi David Millar gab ihm in Anlehnung an die Madagascar-Trickfilmserie einst den Spitznamen «The Penguin» (Der Pinguin): «Von Aussen gesehen ist er niedlich. Aber er hat den Geist eines Killers.»
Mit 32 Jahren ist «Killer» Thomas am Ziel seiner Träume. Sara Thomas sagt: «Jetzt werden wir feiern.» Das muss sie ihrem Ehemann nicht zweimal sagen.