Ganz geheuer ist es Silvan Dillier nicht. «Ohhhh ...», sagt er unsicher, «nicht so schnell!» Gerade dreht der 27-jährige Rad-Profi, der sonst mit bis zu 100 km/h die Pässe herunterdonnert, einige Runden auf dem Pferd seiner Ehefrau Cornelia. Sie läuft immer an der Seite mit, hält die Zügel von Cresta in der Hand und führt so den Schweizer Warmblut.
Mit gutem Grund, wie Dillier später zugibt. «Reiten ist nicht mein Metier, da sitze ich wie ein Herdöpfelsack auf dem Ross. Mir fehlt der Lenker», sagt er lachend, «aber wahrscheinlich sehe ich einfach zu wenig dahinter.»
Das kann Cornelia nur bestätigen: «Silvans Ding ist definitiv viel mehr das Radfahren. Aber das ist auch gut so, schliesslich ist das sein Beruf.» Dillier freut sich trotzdem, dass seine Frau eine echte Pferde- Liebhaberin ist. «Das ist nicht wie bei einer Katze, die man kurz füttert und den Mist ausräumt. Wenn man sich so um ein Tier kümmert wie Cornelia, sagt das viel über den Charakter eines Menschen aus.»
Die Leiden des Silvan D.
Schon bald wird Dillier den Pferde- mit dem Velosattel tauschen. Die Tour de Suisse steht an – kein Rennen wie jedes andere für den Aargauer aus Schneisingen. «Wenn die Fahrer früher bei uns in der Nähe vorbeifuhren, stand ich als Kind immer am Strassenrand. Das war ein Highlight. Jetzt selbst eine Etappe zu gewinnen, wäre mega cool», so der Allrounder.
Besonders ins Auge gefasst hat er jene von Oberstammheim ZH nach Gansingen AG. «Erstens, weil das hügelige Finale meinen Fähigkeiten entspricht und zweitens, weil das Rennen durch jene Region führt, in der ich trainiere. Es werden viele Freunde und Angehörige am Strassenrand mitfiebern – und ich werde alles geben!»
Letzteres muss Dillier gar nicht erwähnen. Denn das tut er immer. Er ist ein Athlet mit einer – sogar in Bezug auf Rad-Profis – besonders grossen Leidensfähigkeit. «Silvan hat mega krasse Fähigkeiten, harte Momente zu überstehen, nicht loszulassen», erklärt Cornelia. Ihr Mann sitzt daneben und wirkt etwas verlegen, bestätigt aber: «Ich hasse es so zu leiden, dass ich fast vom Göppel runterfalle. Aber das Gefühl am Abend im Bett, sich gegen alles gestemmt und nicht nachgelassen zu haben, ist unbezahlbar.»
Zuletzt konnten sich Millionen Rad-Fans genau davon ein Bild machen, als er beim Klassiker Paris–Roubaix den dreifachen Weltmeister Peter Sagan (Slk) bis zum letzten der 257 Kilometer forderte. Nach diesem wilden Ritt durch die «Hölle des Nordens» erntete Dillier grosse Anerkennung. «Ich bin über das Limit gegangen. Aber ich wollte zeigen, dass ich das kann. Während der Fahrt auf den Pflastersteinen habe ich immer wieder daran gedacht, dass meine Familie in diesem Moment zu Hause vor dem TV sitzt und durchdreht. Das hat mich gepusht.»
Die Wander-Tests der Eltern
Bleibt die Frage: Woher hat Dillier diese ausgeprägte Qualität, sich zu schinden? «Ich habe schon als Kind gelernt, den inneren Schweinehund zu überwinden», erzählt er. Seine Eltern seien mitverantwortlich dafür. «Sie waren zwar nie Spitzensportler, aber haben mich und meine Geschwister immer angetrieben und neue Herausforderungen gestellt. Beispielsweise gingen wir früher oft wandern. Als Kind habe ich das gehasst. Aber sie machten mir eine Art Wandertest daraus.»
Dillier erinnert sich: «Einmal fuhren wir mit der Bahn auf das Brienzer Rothorn. Sie fragten: ‹Silvan, schaffst du es in weniger als dreieinhalb Stunden bis ins Tal?› Als Achtjähriger war das für mich eine echte Challenge! Letztlich schaffte ich es und bekam Lob von ihnen. Beim nächsten Wandertest wollte ich dann auch wieder gut abschneiden.»
Nachdem Cresta wieder im Stall ist und einige wohlverdiente Rüebli erhält, verabschieden wir uns. «Ich werde jetzt noch einige Runden auf dem Velo drehen», sagt Silvan Dillier. Tönt locker? Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man tatsächlich davon ausgehen.
Am Samstag im BLICK: Extrabund zur Tour de Suisse!