Die Verletzungshexe fährt bei Rad-Profis immer mit. Ob und wann sie zuschlägt, weiss keiner. Im Fall der Rad-Profis Stefan Küng (24) und Silvan Dillier (28) zeigte sie 2018 ihre besonders hässliche Fratze. Während sich Küng im April bei Paris-Roubaix den Kiefer brach, erwischte es Dillier fünf Monate später im Training: Er rutschte in einer Kurve auf einer Öl-Spur aus und landete im Spital. Seine Schnittwunde am Kinn war so tief, dass der Knochen offen lag.
Die Folge: elf Stiche auf der Haut, drei darunter im Fleisch. Dass er und Küng am Mittwoch zum WM-Zeitfahren starten, ist für sie trotzdem nichts als selbstverständlich. Sie sagen: «Uns haut so schnell nichts um!»
«Zum Glück gibt es Schönheitschirurgen»
Gleichzeitig gibt Dillier zu, dass ihm die Folgen seines Sturzes grosse Mühe machten. «Verletzungen im Gesicht sind das Schlimmste.» Zwar konnte er – wie auch Küng – kurz nach den Operationen wieder aufs Rad. Doch das meint der Aargauer nicht. «Es geht mehr darum, wie unangenehm das Ganze ist. Mir ging es eine Zeit lang wirklich nicht gut.»
Neben den Schmerzen im Gesicht kommt der ästhetische Aspekt dazu. «Mein Traum, Mister Schweiz zu werden, ist nun ziemlich sicher zu Ende», sagt er. Galgenhumor, klar. Denn der Frust sitzt noch immer tief. Und was ist mit der Narbe? Dillier: «Zum Glück gibt es Schönheitschirurgen.» Einer diesen will er nach der Saison aufsuchen.
Auch Küng leidet an den Folgen seines Kieferbruchs. «Ein Schlüsselbein wächst wieder zusammen, der Zahnschmelz aber nicht», so der Thurgauer. Erst vor zwei Wochen war er beim Zahnarzt, um Teilfrakturen auszubessern.
«Radfahren ist brutal hart»
Doch was ist mit den gebrochenen Kieferköpfchen? Diese liegen ganz hinten in der Gelenkgrube. Küng hätte sich für eine weitere Operation mit Schnitten unterhalb der Ohren entscheiden können. Doch er verzichtet. «Sie wäre nicht zu 100 Prozent erfolgreich. Wir haben uns deshalb für eine konservative Behandlung entschieden.»
Die Beispiele von Küng und Dillier zeigen, aus welchem besonderem Hartholz Rad-Profis geschnitzt sind. So, wie sie auch bei einer dreiwöchigen Rundfahrt täglich leiden, nehmen sie auch diese Rückschläge in Kauf. «Athleten anderer Sportarten gehen auch an ihre Limiten, aber bei uns ist es extrem. Radfahren ist brutal hart», so Küng. Dillier pflichtet ihm bei: «Man muss ein Kämpfer sein. Durchhaltewillen haben. Und auch Schmerzen in Kauf nehmen.»
Zum Schluss stellen sowohl Küng als auch Dillier klar: Sie lieben das, was sie tun – trotz der Verletzungen. Radfahren ist für sie mehr als nur ihr Beruf. Es ist ihre Passion. «Und wir haben eine dicke Haut!», so Küng.