Am vergangenen Mittwoch sorgte Roxana Maracineanu für ein mittleres Erdbeben. Zumindest in Frankreich. Die Ministerin für Jugend und Sport erklärte, dass man eine Tour de France (27. Juni - 19. Juli) ohne Zuschauer am Strassenrand in Erwägung ziehen müsse. «Alle verstehen, dass man derzeit zuhause bleiben muss. Dass es nicht möglich ist, Sport-Events zu besuchen. Demzufolge würde es niemandem schwerfallen, die Tour zuhause am TV zu schauen», sagte Maracineanu in «L’Equipe».
Die Grande Boucle ohne Fans. Das wäre unerträglich, finden viele. Schliesslich machen die Rad-Verrückten aus der Tour erst das, was sie ist: ein Mythos. Auch viele Fahrer haben Mühe mit der Vorstellung. Julien Alaphilippe (27), der im letzten Jahr zwei Etappen gewann und lange das Gelbe Trikot trug, meint: «Ich male es mir lieber nicht aus. Man stelle sich die Fussball-WM in einem Stadion ohne Zuschauer vor. Wenn wir so fahren müssen, tun wir es. Aber ich wünsche mir die Tour ohne Virus und mit Publikum.»
Gibts eine Mega-Tour?
Weil das Wunschdenken bleiben dürfte, schiessen die Tour-Spekulationen durch die Decke. Einige sprechen von einer Verschiebung der Rundfahrt in den Herbst, andere wollen dann gleich Giro (bereits abgesagt), Tour und Vuelta in einer «Super-Rundfahrt» vereinen. Dann würden gleich alle drei Länder und alle Hauptstädte (Rom, Paris, Madrid) befahren – ein Symbol des Solidarität und des Zusammenhalts, das über den Sport hinausginge.
So oder so: Für die Tour de Suisse (7. - 14. Juni) wäre eine Rundfahrt ohne Zuschauer undenkbar. Nicht nur alleine wegen der Frage, wie man Menschen überhaupt an ihrem Besuch hindern würde. Auch finanziell wäre der Event nicht zu stemmen. «Das ist absolut keine Option», bestätigt Olivier Senn, Chef des Veranstalters Cycling United AG, der neuen Trägerschaft der Tour de Suisse. «Wir leben von den Sponsoren und den Zuschauern.»
Franzosen haben Monster-TV-Deal
Aber warum wäre genau das in Frankreich möglich? Einfach: Weil sich der übermächtige Organisator Amaury Sport Organisation (ASO) am Honigtopf der TV-Einnahmen labt. Diese sind – ganz im Gegensatz zur Schweiz – enorm.
Ob die 84. Tour de Suisse (mit Zuschauern) am 7. Juni in Frauenfeld tatsächlich startet, entscheidet sich spätestens am 30. April. Wegen der Planungssicherheit will Senn bis zu diesem Tag Klarheit haben. Gibt es diese nicht, muss er aufgeben.