Erstmals lange Ferien. Drei Wochen. Und das mitten im Sommer! So plante Michael Albasini (39) den kommenden Juli. Mit seiner Ehefrau Corinne und den drei Söhnen Gioele, Gianin und Leano wollte er die USA bereisen. Es wäre eine Premiere gewesen. Denn: Zu dieser Jahreszeit war es für ihn als Radprofi stets unmöglich, eine so lange, trainingsfreie Auszeit einzulegen. Nun aber sollte es möglich sein, hatte doch Albasini sein allerletztes Rennen auf den 14. Juni und der letzten Etappe der Tour de Suisse angesetzt. Es kam aber alles anders.
Albasinis Pläne (und jene seiner Familie) wurden von Corona durchkreuzt. Vor drei Wochen wurde klar: Es gibt in diesem Jahr keine Schweizer Rundfahrt. Und auch an einen Flug in die USA ist momentan nicht zu denken. «Ich hatte mir dieses Jahr ganz anders vorgestellt», gibt Albasini zu. Noch mag der Thurgauer, der seit langem in Gais AR wohnt, nicht so recht an ein stilles Ende seiner Karriere glauben.
«Ich würde schon gerne noch ein richtiges Rennen fahren», sagt er in Anspielung auf die «Digital Swiss 5». Bei der virtuellen Tour de Suisse büsste er gestern auf Sieger Küng über 6 Minuten ein. Solche Wettkämpfe zu Hause im eigenen Wohnzimmer sind für den Mann, der seine besten Leistungen oft bei Hundswetter zeigte, nicht das Gelbe vom Ei. «Wenn ich ehrlich bin, sehe ich das nicht als Wettkampf an», so Albasini. Den Humor hat er nicht verloren. «Wer weiss, vielleicht starte ich nun meine zweite, digitale Karriere», meint er schmunzelnd.
Darf er im Herbst doch noch mal ran?
Zurück zur Realität. Da stellt sich die Frage, ob das australische Team Mitchelton-Scott Albasinis Mitte Juni auslaufenden Vertrag nicht doch bis Jahresende verlängert. Genau das wünscht er sich. «Ich kläre es momentan mit dem Team ab. Die Chancen stehen nicht so schlecht», sagt er.
Voraussetzung für eine Fortsetzung der Karriere ist, dass es in diesem Jahr überhaupt noch Rennen gibt. Der Radweltverband UCI verschickte zwar unlängst einen neuen Rennplan mit Tour de France, Giro, Vuelta und WM – alles hineingequetscht in den Spätsommer und Herbst. «Aber ob das so klappen wird, weiss ich nicht», sagt Albasini. Und so kommt es, dass er weiterhin eine gewisse Leere spürt. Viel zu viel ist in der Schwebe. «Ich stehe zwischen Stuhl und Bank, habe keine konkreten Ziele, es gibt keine Eckpunkte. Das ist schwierig auszuhalten.»
11 Siege in der Schweiz
Nun mag niemand daran glauben, dass Albasinis Karriere am 16. Februar endete – mit Platz 105 in der Clasica de Almeria in Spanien. Der ausgebildete Primarlehrer hätte etwas anderes verdient. Insgesamt 30 Rennen gewann Albasini in seiner Profikarriere, die 2003 im Phonak-Team begann. Dabei entpuppte er sich als Schweiz-Spezialisten. Alleine an der Tour de Romandie gewann er sieben Etappen, dazu kamen drei bei der Tour de Suisse. Und er siegte 2011 beim GP Kanton Aargau. Als endschneller Mann in Fluchtgruppen und ansteigenden Zielgeraden, aber auch als treuer Helfer machte sich Albasini dabei einen Namen.
Sollte man diesen nun nie mehr auf einer Rangliste sehen, wäre das nur etwas: schade. «Aber keine Tragödie», sagt er. Albasini ist sich bewusst: Alles, was vor 2020 passierte, würde nicht vergessen.