Eigentlich hätte Michael Albasini (39) seine Karriere mit der Tour de Suisse beenden wollen. Eigentlich. Doch dann kam Corona und das Rennen wurde ersatzlos gestrichen. Die Abschiedstournee in der Schweiz, die sich Albasini so sehr gewünscht hatte, bleibt ihm damit verwehrt. «Das geht so nicht. Das hat er nicht verdient», dachte sich Berufskollege Stefan Küng (26). Der WM-Bronze-Held machte sich auf die Socken. Er sprach mit Albasinis Familie, Kollegen und Sponsoren und schlug ihm vor: «Lass uns doch unsere eigene Tour de Suisse machen!»
«Alba», wie ihn alle nennen, war sofort begeistert. Und so werden die beiden Rad-Kumpels ab Sonntag die ursprünglich geplante Landesrundfahrt doch noch unter die Räder nehmen. Fast genau so, wie sie stattgefunden hätte – einfach im normalen Strassenverkehr. Der Start erfolgt in Frauenfeld TG mit dem Prolog und einer 10-Kilometer-Runde, danach geht es am Montag vom Rheinfall SH nach Lachen SZ über 179 Kilometer. Albasini wird dabei auch von anderen Freunden und Bekannten begleitet – und von Sportlern wie Nicola Spirig (Triathlon), Selina Büchel, Salomé Kora (beide Leichtathletik), Nöldi Forrer (Schwingen) und Pablo Brägger (Kunstturnen). «Eine lustige Truppe», wie es Küng schmunzelnd nennt.
Auch die Rad-Profis Mathias Frank, Michael Schär und Fabian Lienhard stossen in den folgenden Etappen dazu. Albasini: «Als die Tour de Suisse abgesagt wurde, habe ich kurz den Kopf in den Sand gesteckt. Es war hart. Doch diese Idee von Stefan ist einfach cool, ich freue mich sehr.» Dennoch sei es wegen Corona nicht einfach gewesen, alles zu organisieren. Kein Wunder, wusste Albasini doch lange nicht, was wegen den Anweisungen der Behörden erlaubt oder eben verboten sein würde. «Ich bin darum froh, wenn es jetzt losgeht. Es wird ein geniales Abenteuer.»
1000 Kilometer und 15'000 Höhenmeter
Im Gegensatz zu den weiteren Teilnehmern der «Tour de Albasini» werden Küng und Albasini alle Etappen bestreiten. 1000 Kilometern und gut 15'000 Höhenmeter warten also auf sie. «Es wird ein Spass, klar. Aber so eine Distanz fährst du auch nicht gratis. Ich sehe es als Ausdauerblock während eines Trainingslagers», so Küng. Während er jeweils bei Kollegen in Bed and Breakfast übernachten wird, reist Albasinis Familie mit dem Wohnmobil mit. «Für mich ist es eine Ehre, dass Stefan alle Etappen fährt. Seine ganze Idee zeigt, was für ein Mensch er ist. Er schaut nicht nur für sich selbst, sondern denkt auch an andere.»
Albasini selbst ist auch froh um das Training. Denn: Sein Team Mitchelton-Scott verlängerte seinen im Juni auslaufenden Vertrag kurzerhand bis Ende des Jahres. Eine grosse Freude. Und dann? «Dann ist endgültig Schluss.»
«Alba ist einfach ein guter Typ»
Manch einer wird sich unweigerlich fragen: Wie kommt es, dass sich Küng so stark für seinen Kumpel einsetzt? Klar, beide sind Rad-Profis. Und Thurgauer. Dennoch: Der Altersunterschied von 13 Jahren ist gross. «Alba ist einfach ein guter Typ. Er hat mir viel geholfen, als ich angefangen habe. Ich konnte viel von seinem Wissen profitieren», so Küng.
Seine erste bewusste Erinnerung an Albasini ist nicht persönlich, sondern stammt vom 17. Juni 2009. Damals fieberte er als Teenager bei der 5. Etappe der Tour de Suisse von Stäfa ZH nach Serfaus (Ö) vor dem TV mit seinem Vorbild Fabian Cancellara mit. Dieser gewann später auch die Rundfahrt, doch in jener Etappe war Albasini im Sprint der Schnellere. «Er zeigte eine unglaubliche Grinta. Also den Willen, alles aus sich herauszuholen und zu gewinnen. Das beeindruckte mich sehr. Alba war ein echtes Vorbild.»
Einer verlängert, einer tritt ab
Sechs Jahre später wurden sie dann Berufskollegen, Küng gelang bei BMC Racing der Schritt zum Profi. Seit letztem Jahr ist er beim französischen Team Groupama-FDJ unterwegs. Und er wird es auch bleiben – der Bücherliebhaber verlängerte seinen Vertrag vorzeitig bis 2023. «Ich fühle mich extrem wohl. Früher bei BMC gab es brutale Leitplanken, hier lässt man mir aber die Freiheiten, die ich brauche. Es ist sehr familiär. Gleichzeitig unternimmt man alles, um Probleme zu lösen, wenn etwas mal nicht passt. Ich freue mich unglaublich auf die nächsten, was noch kommt.»
Was das im Jahr 2020 noch sein wird, steht wegen Corona noch in den Sternen. Die UCI veröffentlichte zwar einen vollbepackten Rennkalender ab dem 1. August. Doch ob dieser durchgezogen werden kann? «Niemand weiss es. Wir müssen flexibel bleiben», so Küng. Zu weit nach vorne denken bringe sowieso nichts, findet er. Und sowieso: Zuerst geht es nun mit Albasini auf dessen letzte Tour de Suisse!