Dank Weltkriegs-Held und Milliardär
Darum startet der Giro d’Italia in Israel

Gino Bartali († 85) lebt weiter. Nicht auf dieser Welt, aber im ­Herzen vieler Menschen. Der Rad-Star aus Italien riskierte sein Leben, um Juden vor den Nazis zu retten.
Publiziert: 02.05.2018 um 23:46 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 14:15 Uhr
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Der italienische Radprofi Gino Bartali während des Giro di Lombardia 1952.
Foto: KEY
Mathias Germann

Held! Ein Begriff, der im Sport häufig verwendet wird – auch im Radsport. Als «Helden der Landstrasse» werden jene bezeichnet, die sich bis zum Äussersten quälen, um Siege einzufahren – oder um nicht abgehängt zu werden. Gino Bartali (1914–2000) gehörte zur ersten Kategorie: Der Italiener gewann drei Mal den Giro und zweimal die Tour de France.

Gino Bartali lässt sich nach dem Giro-Sieg 1946 feiern.
Foto: KEY

War er also ein Super-Held? Nimmt man das, was der 1914 geborene Bauernsohn ausserhalb seines Metiers geleistet hat, kann man getrost sagen: Ja, das war Bartali ganz bestimmt!

Während des Zweiten Weltkriegs setzte er sein eigenes Leben aufs Spiel, um Juden zu retten. Vor dem Konzentrationslager, vor dem Tod. Man geht davon aus, dass 800 Menschen direkt von seinen Taten profitierten. Wenn die Italien-Rundfahrt erstmals ausserhalb Europas startet, wird Bartali gedacht und gedankt.

Insgesamt gewinnt Bartali den Giro drei Mal.
Foto: KEY

Die Fahrer rasen beim Zeitfahren in Jerusalem an der Yad Vashem Holocaust-Gedenkstätte  vorbei. Dort, wo seit 2013 auch Bartalis Name unter den «Gerechten unter den Völkern» gelistet ist.

Der Giro in Israel – alles wegen Bartali? Nicht ganz, viel eher ist Sylvan Adams (58) dafür verantwortlich. Der nach Israel ausgewanderte Immobilien-Unternehmer aus Kanada blätterte offenbar zwölf Millionen Euro hin, um die Italien-Rundfahrt in seine neue Heimat zu holen. Die Stichworte dazu: Globalisierung, Erschliessung neuer Märkte, Tourismus-Offensive – das liebe Geld spielt also auch mit.

Unternehmer Adams holt den Giro in seine Heimat nach Israel.
Foto: REUTERS

Die Ehrung Bartalis ist trotzdem ein starkes Zeichen. Aber: Was machte der Italiener eigentlich genau?

Unterwegs mit versteckten Dokumenten

Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, pausieren die Rennen in Europa. Gino Bartali wird in der Folge seiner besten Rennjahre beraubt. Trotzdem schwingt er sich täglich auf seinen Drahtesel. «Ich gehe trainieren!», ruft er seiner Frau Adriana zu. Das tut er auch – doch nicht nur das. Er schmuggelt Fotos und Dokumente von Juden, die er von Franziskanermönchen erhält.

Er versteckt sie in seinem Sattelrohr, fährt Hunderte Kilometer an unzähligen Kontrollposten vorbei. Bei einer Druckerpresse werden aus Juden plötzlich Christen. Und Bartali? Er macht sich auf den Weg und händigt die neuen Ausweise aus.

Der Radstar riskierte sein Leben, um Juden vor den Nazis zu retten.
Foto: RDB

Bartali profitiert bei seinen geheimen Touren von seinem Promi-Status. Jeder kennt ihn. Das Risiko ist dennoch gross. Mussolini hat schliesslich nicht vergessen, dass er sich weigerte, ihm seinen ersten Sieg an der Tour de France zu widmen. Einmal wird es für «il Pio» (den Frommen) ganz brenzlig: Ein Soldat möchte sein Velo inspizieren. Bartali aber redet pausenlos auf ihn ein. Sagt, dass sein ganzes Rad perfekt justiert sei und es eine Katastrophe wäre, auch nur das kleinste Detail zu verändern. Letztlich lässt man ihn fahren.

«Ich bekämpfe den Krieg, ­indem ich Menschen helfe»

Bartali ist allerdings nicht nur als Kurier unterwegs. Nein, er kundschaftet auf seinem Velo auch mögliche Fluchtrouten für Juden aus. Weil er dabei nicht immer anhält, wird auch schon mal auf ihn geschossen. Der gläubige Katholik entkommt. Später versteckt er gar eine ganze jüdische Familie bei sich zu Hause und bewahrt sie vor dem KZ. Diese Geschichten kommen erst spät ans Tageslicht.

Bartali an der Tour de France im Jahr 1951.
Foto: ATP

Eigentlich wollte Bartali nie darüber reden. Sein 2017 verstorbener Sohn Andrea erzählte aber: «Mein Vater hat mir einmal gesagt: Ich bekämpfe den Krieg, indem ich Menschen helfe. Ob sie Juden, Muslime oder Anhänger anderer Religionen sind, ist mir egal. Für mich zählt nur das Leben.»

Nach dem Krieg gewinnt Bartali noch einmal den Giro und die Tour. Die Schweizer Radlegende Ferdy Kübler († 97) sagte: «Gino war für mich der Grösste!» Ohne die jahrelange Zwangspause wäre sein Palmarès noch beeindruckender. Ob es Bartali aber überhaupt darum ging? Andrea: «Wenn Leute zu ihm sagten: ‹Gino, du bist ein Held›, antwortete er: ‹Nein, nein, ich möchte nur für meine sportlichen Erfolge in Erinnerung bleiben.›»

Ferdy Kübler im Leadertrikot der Tour de Romandie im Jahr 1951.
Foto: KEY

Das hat er nicht geschafft. Zum Glück nicht.

So läuft der Giro d’Italia

Nach dem Auftakt-Zeitfahren (9,7 km) am Freitag in Jerusalem folgen zwei einfache Etappen in Israel. Dann gehts ab nach Italien, wo die Rundfahrt nach insgesamt 21 Etappen und 3562 Kilometern am 27. Mai in Rom endet. Nur drei Schweizer sind diesmal dabei – drei Walliser! Der Jüngste: Kilian Frankiny (24), ein exzellenter Kletterer aus Naters. Er hat bei BMC die Aufgabe, Leader Rohan Dennis zu unterstützen.

Die Altstadt Jerusalems bei einem Velorennen im Jahr 2011 – nun folgt der Giro.
Foto: AP

Auch Steve ­Morabito (35) und Sébastien Reichenbach (28, beide Groupama-FDJ) sind Helfer. Ihr Boss: Thibaut Pinot (Fr). Top-Favorit auf den Gesamtsieg ist Chris Froome (Gb). Ihm droht aber nach einer positiven ­Doping-Probe bei der letzten Vuelta Ungemach. Sein grösster Widersacher: Vorjahressieger Tom Dumoulin (Ho).

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