Auf dem Rad konnte Fabian Cancellara (36) alles. Wie kaum ein anderer beherrschte der Berner während seiner 16 Profi-Jahren sein Arbeitsgerät. Egal ob bei halsbrecherischen Abfahrten, auf glitschigen Pavées oder inmitten von 200-Mann starken Pelotons: Cancellara war ein Künstler auf Rädern, nichts brachte ihn aus der Ruhe.
Heute, an diesem Sommertag im Juli, ist Cancellara aber unruhig. Er blickt auf den Wellen durchzogenen Sempachersee und schluckt zweimal leer. «Da gehen wir aber nicht schwimmen, oder?», fragt Fabian. Sein Schmunzeln verrät eine Mischung aus Anspannung und Vorfreude – es ist wie vor einem wilden Ritt auf einer Achterbahn.
Bevor es ins kühle Nass geht, gibt es im Seehotel «Sonne» aber noch einen Kaffee. «Den brauche ich definitiv», sagt Cancellara. Ronnie Schildknecht, der Schweizer Triathlon-Star, sitzt am gleichen Tisch und sagt: «Das wird schon klappen, Fäbu.»
Der Hintergrund: Schildknecht nimmt sich heute Zeit, um Cancellara ins Triathlon-Business einzuführen. Wobei es eigentlich nur ums Schwimmen geht. Denn: Radfahren hat Cancellara nicht verlernt. Und zu Fuss ist er als Ex-Spitzensportler ebenfalls gut unterwegs. Aber eben: Das Schwimmen. Auch diese Disziplin will gelernt sein. Vor allem jetzt, da sich Cancellara auf den «TriStar»-Triathlon (alle Infos auf tristartriathlon.com) vom 3. September vorbereitet.
Cancellara erzählt: «Ich kann eigentlich schwimmen. Aber beim Crawlen kriege ich irgendwann keine Luft mehr. Dann habe ich Panik!» Was extrem tönt, ist für Ronnie Schildknecht nichts Unbekanntes.
Der 37-jährige neunfache Schweizer Ironman-Sieger ist sprichwörtlich mit allen Wassern gewaschen, kennt die Probleme von Amateur-Triathleten genau. «Panik ist wirklich ein Problem. Ich nahm einmal an einem Dreifach-Triathlon teil, bei dem plötzlich ein Sturm aufkam. Als ich zum dritten Mal ins Wasser musste, fing dieses an Wellen zu schlagen. Weil ich am Anschlag war, bekam ich keine Luft mehr.»
Beruhigend wirken diese Worte auf «Lehrling» Cancellara nicht gerade. «Aber wenn ich es nicht versuche, wie soll ich es lernen?», fragt er rhetorisch. Zu diesem Zeitpunkt steht er neben Schildknecht am Ufer des Sempachersees, beide haben sich zuvor in Neopren-Anzüge gequetscht. Wer nun aber denkt, dass sich der Olympiasieger von Rio 2016 vorsichtig dem Wasser nähern wird, täuscht sich. Bald wird klar: Fabian stapelt tief! Er stürzt sich in den See und zeigt wunderschöne Crawl-Bewegungen. «He, das sieht ja super aus!», ruft ihm Schildknecht nach.
Ronnie gibt Tipps, Fäbu lernt
Cancellara aber winkt ab. «Ich bin bereits ausser Atem. Was, wenn das mitten auf dem See passiert? Da bekomme ich Angst, unterzugehen!» Ronnie geht zu ihm ins Wasser und sagt: «Erstens einmal: Du stellst dich deinen Ängsten, das ist super. Du hast auch eine gute Technik. Nun geht es darum, nicht zu überpowern. Du musst lernen, langsamer zu schwimmen.»
Genau das versucht Fäbu in der Folge. Wieder und immer wieder. «Ich schnaufe wie ein Elefant», sagt er einmal genervt. Wenig später lacht er über sich selbst, nachdem er sich verschluckt hat: «Ich brauche eine Sauerstoff-Flasche!»
Schildknecht lacht mit, korrigiert aber auch, hilft. «Atme nur auf jener Seite, bei der du dich wohler fühlst», sagt er. Gesagt, getan. Es funktioniert. Wenig später eine weitere Übung. «Lass uns jetzt Wasserschatten-Schwimmen trainieren!», sagt Ronnie. Fragend zuckt «Spartacus» mit den Schultern: «Was ist das denn?» Schildknecht: «Das Gleiche wie der Windschatten beim Radfahren, nur halt im Wasser. Da sparst du 10 Prozent Energie.» Auch das wird geübt.
Eine knappe Stunde, nachdem sie ins Wasser gestiegen sind, tauchen Fabian und Ronnie wieder aus den Fluten des Sempachersees auf. Cancellara ist müde, aber zufrieden: «Die Tipps von Ronnie sind Gold wert. Dank ihnen habe ich meine Angst überwunden. Aber ich muss weiter üben – anders geht es nicht. Im Notfall würde ich mich nicht schämen, auch von der Crawl-Technik auf Brustschwimmen zu wechseln.»
Schildknecht ist derweil überzeugt: «Fabian wird sich am 5. September gut metzgen.» Und ergänzt schmunzelnd: «Er muss ja nicht Erster werden.» Cancellara bestätigt: «Mir geht es wirklich nicht darum, wie schnell ich bin. Ich möchte den Wettkampf einfach geniessen. Aber klar, am Start werden Ehrgeiz und Adrenalin da sein. Das wird sich wohl bei mir nie ändern – auch nicht bei einem Triathlon.»