BLICK-Reporter Hildbrand besuchte Kübler noch Anfang Dezember
«Ich spürte, dass es der letzte Händedruck war»

BLICK-Reporter Hans-Peter Hildbrand (61) kennt Ferdy Kübler seit 1980. Er erinnert sich an seinen letzten Besuch Anfang Dezember.
Publiziert: 31.12.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 16:17 Uhr
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BLICK-Reporter Hans-Peter Hildbrand stattete Ferdy Kübler Anfang Dezember noch einen Besuch ab.
Foto: KATHI BETTELS

Ferdy Kübler nimmt meine Hand. Drückt sie fest. Will sie fast nicht loslassen. Sagt zum Abschied: «Danke für deinen Besuch – und für die Flasche Wein. Und gib Walter Bucher einen Gruss zurück.» Walter Bucher (90), Steher-Weltmeister 1958 in Paris, habe ich tags zuvor zufällig getroffen. «Gäll, lasch mer dr Ferdy la grüesse.»

Es ist der 8. Dezember, ich bin bei Ferdy Kübler daheim in Birmensdorf ZH. Ich habe ihm eine Flasche «Heida» aus dem höchst gelegenen Rebberg Europas mitgebracht. Engelberg Stoffel heisst der Winzer, auch schon 80-jährig. «Visperterminen», lacht Ferdy trocken. «Da waren wir aber mit der Tour de Suisse noch nie!» Und in den steilen Rebbergen sei halt die Arbeit schon ein «ä huere Chrampf», fast zu vergleichen mit der Arbeit eines Velofahrers.

Christina Kübler entschuldigt sich, ihr Mann habe heute einen eher schlechten Tag. Er klagt über Schmerzen in den Beinen, in der Brust. Aber geistig ist er mit 97 Jahren voll da. «Die Schmerzen einer Tour de France sind nichts gegen die, die mich jetzt plagen.» Am Vorabend hat er am Tisch noch seinen so sehr geliebten Curry-Risotto gegessen. Aber heute mag er nicht mehr aufstehen.

Christina lagert seine Beine hoch, lässt die Storen runter, weil die Sonne Ferdy blendet. Es ist für einen Dezember viel zu warm. «Typisches Herbst-Golfwetter», werfe ich in die Runde. Erinnerungen an die letzte gemeinsame Golfrunde im Rheinblick kommen hoch. Als Ferdy auch nach der zweiten Flasche Rotwein (zu viert!) nicht heim wollte. Und sich bei mir entschuldigte, dass er mir nur drei Schachteln Golfbälle geschenkt habe. «Gäll du, mit deinen Abschlägen», sagt er und lacht.

Dann klagt er wieder über Schmerzen. «Mein Körper ist alt. Ich bin immer so müde. Das Atmen fällt mir seit einiger Zeit so schwer. Ich brauche zur Unterstützung immer wieder Sauerstoff.» Zur Aufmunterung reicht ihm Christina ein Glas Champagner. Ferdy nimmt einen Schluck und legt sich wieder hin. Dann reden wir über das und jenes.

Als ich von Lüttich–Bastogne–Lüttich spreche, kommt Ferdy wieder ins Fieber. Er richtet sich selbständig auf. Christina dreht ihn auf den Bettrand. Dann legt er los. Von Lüttich und der Flèche Wallonne. Den beiden Klassikern, die damals an einem Wochenende ausgetragen wurden. Zweimal hat er das Double geschafft. Ich frage ihn nach Koblet. «Ohne Hugo wäre ich nicht der Ferdy Kübler», sagt er. Die Funktionäre hätten seinen Lieblingsgegner und späteren Freund kaputt gespritzt. Er wettert über die damaligen Verbandspräsidenten, Funktionäre, die ihn nur geplagt hätten.

«Die haben mir 1954 den zweiten Sieg an der Tour de France geklaut!» Er wird Zweiter, gewinnt zwei Etappen und das Punkteklassement, «obwohl ich für Hugo fahren musste». Kübler ist schon Mitte dreissig, Koblet erst 29. Verbandspräsident Carl Senn fordert, der Jüngere müsse die Tour gewinnen. Das hat Kübler nie vergessen. Ich beruhige ihn. Ferdy wird müde. Ich verabschiede mich. Sein Händedruck wirkt lange nach. Irgendwie spüre ich – es war wohl der letzte.

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