20 Jahre nach dem Todessturz von Fabio Casartelli
Sohn Marco: «Ich will diese Bilder von Papa nicht mehr sehen»

Erst ist das Drama am TV zu sehen, dann zu hören. Am Abend des 18. Juli 1995 läuten im Heimatort von Fabio Casartelli die Totenglocken.
Publiziert: 18.07.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 17:56 Uhr
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Gedenken: Marco Casartelli (vorne) am Todesort seines Vaters. Die Bilder von damals verfolgen ihn bis heute.
Foto: Dukas
Von Hans-Peter Hildbrand

Das Rückflug-Ticket für die Startnummer 114 liegt bereit. Fabio Casartelli hätte aufgeben können. Ferien machen mit seiner geliebten Annalisa und Baby Marco. Doch der 25-jährige Italiener will die Tour de France im zweiten Anlauf endlich fertig fahren.

Wir schreiben den 18. Juli 1995. Die Königsetappe in den Pyrenäen wird zum schlimmsten Tag in der Geschichte der Tour de France. Kurz vor Mittag rast Motorola-Fahrer Casartelli vom Portet d’Aspet in der Nachzüglergruppe ins Tal. In einer engen Linkskurve kommt er nach 34 Kilometern zusammen mit sechs anderen Fahrern zu Fall.

Casartelli prallt mit Tempo 80 kopfvoran in eine Steinmauer. Er trägt keinen Helm, die Helmpflicht besteht noch nicht.

Vier Gestürzte fahren weiter. Dirk Baldinger (De) hat einen offenen Beckenbruch. Dante Rezze (Fr) stürzt über den Kurvenrand 20 Meter ins Tobel hinunter. Er kommt mit einer starken Oberschenkelprellung davon.

Casartelli aber bleibt mit einem Schädelbruch bewusstlos liegen. Bereits nach wenigen Minuten wird er, stark blutend, ins Spital von Tarbes geflogen. Im Helikopter hat der Italiener dreimal einen Herzstillstand.

Casartelli stirbt um 14.00 Uhr im Spital von Tarbes. Die Tour läuft weiter, die meisten Fahrer erfahren erst im Ziel vom Drama.

Hätte ein Helm das Leben des Sensations-Olympiasiegers von 1992 in Barcelona gerettet? Der Tourarzt damals: «Nein, bei diesem Aufprall hätte auch ein Helm kaum etwas genützt.»

Tony Rominger erinnert sich: «Als ich in den Mannschaftsbus gekommen bin, musste ich mindestens zwanzig Mal mitansehen, wie Casartelli das Blut aus dem Kopf spritzte. Dann wurde nach Tarbes umgeschaltet und gezeigt, wie der Tote in die Leichenhalle gebracht wurde. Diese Art von Show fand ich pervers, eine Schweinerei.»

Casartellis Sohn Marco bekommt vom Drama nichts mit. Er ist erst zwei Monate alt, als sein Vater stirbt. Nach der Grundschule studiert er Sprachen an der Universität. Sport betreibt er nie.

Zwanzig Jahre nach dem Drama, am Donnerstag dieser Woche, reist Marco an die Todesstätte seines Vaters. In einer kurzen Zeremonie legt er Blumen nieder und stellt sich den Reportern.

«Ich kann die Bilder von Papa nicht mehr sehen», gesteht er. «Sie machen mich traurig, sie verfolgen mich.»

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