Mehr als drei Kilogramm hängen um Catherine Debrunners Hals. «Man spürts schon ein wenig im Nacken!», sagt die 29-jährige Para-Sportlerin und lacht. Nicht nur ihre Augen glänzen: Fünf Goldmedaillen (je 529 Gramm) und eine silberne blitzen im Licht, das durch die Fenster des Hotels Sempachersee in Nottwil LU scheint. «Es ist einfach crazy! Ich realisiere noch gar nicht, was da alles passiert ist.»
An den Paralympics in Paris holt Catherine Debrunner in den Disziplinen Marathon, 400 m, 800 m, 1500 m und 5000 m Gold und über 100 m Silber. Mit ihren sechs Medaillen belegt sie zusammen mit dem italienischen Schwimmer Stefano Raimondi Platz 2 im Ranking der erfolgreichsten Athletinnen und Athleten der Spiele von 2024. Und nicht nur das: Debrunner stellt in vier Disziplinen paralympische Rekorde auf. Davon ist sie selbst überrascht. «Das Frauenfeld ist so stark dieses Jahr. Ich hätte nicht gedacht, dass ich solche Zeiten fahre.» Für Debrunner sind die Rekorde an Grossanlässen zweitrangig – viel mehr zählen die Medaillen. Und das Glockenläuten! Die Goldmedaillengewinnerin durfte nach ihren vier Siegen in der Arena viermal die bronzene Glocke bimmeln lassen und ihren Triumph lautstark feiern. Nach den Paralympics wird die «Siegerglocke» umgesiedelt – in die berühmte Kathedrale Notre-Dame. Nur schon darum will Debrunner Paris unbedingt noch einmal besuchen.
Catherine Debrunner überstrahlt mit ihrer Leistung alle anderen Athletinnen und Athleten der Schweizer Delegation, die in Paris mit 21 Medaillen auf dem 15. Platz im Medaillenranking landete. Von der Stadt der Liebe ist sie begeistert: «Paris hat uns gewaltige Spiele geboten und uns die Visibilität gegeben, die wir verdienen.»
Eine Erfahrung jedoch liegt Debrunner schwer im Magen: der Marathon. Den letzten Wettkampf der Spiele beschreibt sie als Grenzerfahrung. Debrunner siegt zwar klar, leidet aber auf der Strecke. Mehr als fünf Kilometer absolvieren die Rollstuhlsportlerinnen auf Kopfsteinpflaster, es geht bergauf, das Tempo wird enorm gebremst. Auch ihre Mitathletinnen, unter anderem Medaillengewinnerin Manuela Schär, waren unglücklich. «Wir stellen die Streckenwahl sehr infrage. Wir konnten dadurch nicht wirklich zeigen, was wir draufhaben.» Dennoch beschreibt Debrunner den Marathon als ihren emotionalsten Sieg. «Danach war ich gefühlsmässig und physisch total erschöpft. Mittlerweile geht es mir körperlich schon wieder besser – emotional habe ich noch einiges zu verarbeiten.»
Hinter ihrem riesigen Erfolg steckte ein Masterplan. Um ihren Körper optimal vorzubereiten, übte Debrunner an den Wettkämpfen in Dubai, Nottwil und am Grand Prix in Paris, fuhr dort viele Rennen aufs Mal. «Nicht jeder kann das körperlich. Ich habe es als Hauptprobe angesehen und gemerkt, dass ich dazu imstande bin.»
Emotion und Körpergefühl
Um auch mental fit zu bleiben, trifft die Athletin eine einschneidende Entscheidung: Während der Spiele gibt sie ausschliesslich in der Mixed Zone Interviews und verbietet sich selbst Social Media. Damit sie nicht in Versuchung gerät, hat sie in Paris ein Zweithandy dabei – ohne Instagram und nur mit den 30 wichtigsten Nummern. «Dieses Social-Media-Detox hat mir geholfen, in meiner Mitte zu bleiben. Bei grossen Wettkämpfen werde ich das künftig immer so machen.» Der Verzicht tat Debrunner auch sonst gut. «Auf Instagram sieht man täglich diese wunderschönen Frauen mit perfekten Körpern – ich neige dann dazu, mich zu vergleichen.» Ihr Aussehen ist Debrunner wichtig. Sie mag es, sich zurechtmachen und gepflegt und schön auszusehen. Vor den Paralympics ging sie mit Trainingskolleginnen ins Nagelstudio und sorgte mit der roten French Manicure für ein wenig Swissness. Ihr muskulöser Rücken, ihre langen Arme und ihr kräftiger Oberkörper bieten optimale Voraussetzungen für den Rollstuhlsport. Das ist sich Debrunner, die wegen eines Tumors an der Wirbelsäule seit Geburt im Rollstuhl sitzt, bewusst.
Und dennoch: «Als Frau hadere ich manchmal damit. Es ist frustrierend, beim Shoppen immer grosse Grössen kaufen zu müssen. Trotzdem bin ich dankbar, dass ich so fit bin.» Und das zu Recht – mit ihrem Körper und seinen Fähigkeiten wuchs Debrunner über sich hinaus und sorgte in Paris für grosse Gefühle. Ihr selber waren die Emotionen weniger anzumerken. «Die Zurückhaltung war eine Art Selbstschutz von meinem Körper.» Grosse Emotionen zuzulassen, würden erschöpfen, die Wettkämpfe hätte sie sonst nicht bis ans Ende durchziehen können.
Nachbarn sind wie zweite Eltern
Wieder zu Hause, wird sie von ihren Nachbarn, einem älteren Ehepaar, vom Bahnhof abgeholt. Zwei wichtige Menschen in ihrem Leben. «Sie sind wie meine zweiten Eltern und ich ihr fünftes Kind. Ohne sie würde es nicht gehen.» Vor sechs Jahren zog die Para-Athletin nach Geuensee LU. «Die Nachbarn schauen zu meiner Wohnung, wenn ich im Ausland bin, oder helfen mir, das Gepäck ins Auto zu laden. Und sie sind einfach da für mich.» Daheim wird sie von ihren Freunden und ihrer Familie überrascht. «Ich habe mich sehr gefreut. Wir haben angestossen und gefeiert.» Nach dem grossen Sportevent gehts für sie nun bald weiter. Ende September hat sie den nächsten Marathon in Berlin. Ferien holt sie später nach. Für etwas Erholung sind ihr zurzeit ihre eigenen vier Wände genug. Auf ihr Bett und die Privatsphäre in ihrer Wohnung habe sie sich am meisten gefreut. Und hier werden wohl auch bald die sechs neuen Medaillen baumeln – neben ihren bereits zwei vorhandenen aus Tokio 2021.
Dieser Artikel wurde erstmals in der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Blick+ Nutzer haben exklusiv Zugriff im Rahmen ihres Abonnements. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.
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