Vor 2 Jahren wollte er nicht mehr leben!
Phelps schnappt nach seinem 19. Olympia-Gold

Nach turbulenten Jahren hat Schwimm-Überflieger Michael Phelps seine 19. olympische Gold-Medaille vor Augen.
Publiziert: 07.08.2016 um 11:58 Uhr
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Aktualisiert: 11.09.2018 um 06:01 Uhr
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Michael Phelps in seinem Element, dem Wasser.
Foto: REUTERS
Oskar Beck

Ihren ersten Höhepunkt hatten die Olympischen Spiele in Rio am Freitag bei der Eröffnungsfeier: Michael Phelps trug die US-Flagge ins Maracana.

Der zweite folgt morgen: Michael Phelps schwimmt.

Es ist fast ein Wunder, denn vor zwei Jahren war er dem Tod näher als seinem neunzehnten Gold. Der Amerikaner war zur Therapie in «The Meadows», einer Reha-Klinik in Wickenburg in der Wüste von Arizona, und kürzlich verriet er: «Ich wollte den nächsten Tag nicht mehr sehen. Ich wollte nicht mehr auf dieser Welt sein.»

«The Meadows» ist eine harte Nummer. Fragen Sie Kate Moss, das Supermodel wurde dort wieder clean. Auch Mike Tyson und Robbie Williams gingen durch die Hölle von Wickenburg, wo es viele Kakteen und Klapperschlangen gibt, und ein Programm gegen Suchtkrankheiten aller Art, wie Sex, Drogen oder Suff.

Aufgestanden wird morgens um sechs, abends geht es um Zehn ins Bett, keine Handys, kein Fernseher, spartanisches Ambiente, und jeder Insasse kümmert sich um seine dreckige Wäsche selbst.

Der erfolgreichste Schwimmer aller Zeiten war dort sieben Wochen, und seine Freunde sagen: «Er ist ein neuer Mensch.»

Phelps ist frisch verliebt – ins Schwimmen

Aus Rio wird berichtet, dass Phelps sogar glücklich ist. Seine Verlobte Nicole Johnson ist dabei, und die ehemalige «Miss Kalifornien» trägt immer Söhnchen Boomer, drei Monate alt, auf dem Arm, und auf dem Strampelanzug des Wonneproppen steht: «Team Daddy.»

«Ich fühle mich wieder wie ein Kind», sagt Daddy, «ich habe mich wieder ins Schwimmen verliebt.»

Phelps ist mehr als nur Schwimmen, Phelps ist Genuss. Wenn er 100 Meter Butterfly schwimmt, geht er durchs Wasser wie ein Messer durch die Butter.

Er ist einer dieser Ausserirdischen, die es in jeder Sportart nur einmal im Jahrhundert gibt. Im Skispringen war es Matti Nykänen – seit sie den Finnen von der Schanze fliegen sahen, gehen die Vögel zu Fuss. Bei Phelps sind es die Fische, die sich schämen.

Wird er, mit 31, nochmal zum Goldfisch? 18 Mal Edelmetall hat er schon, und seine fünften Olympischen Spiele haben gleich wieder gut angefangen. «Ich fühle mich geehrt», sagte Phelps mit der US-Flagge in der Hand.

Er hat in den letzten Jahren auch andere Fahnen vor sich hergetragen – und über deren Dunst war die Polizei nicht immer glücklich.

Phelps' Tiefpunkt

Wie im Herbst 2014. Daheim in Baltimore raste Phelps mit 1,4 Promille und dem ungefähr Doppelten der erlaubten Geschwindigkeit in ein Spielcasino. Er bekam ein Jahr auf Bewährung, wurde sechs Monate gesperrt und auch für die WM 2015 verbannt, wo er seinen 26 WM-Titeln weitere hinzufügen wollte. In «The Meadows» war er gerade, als das Fernsehen darüber berichtete, und alle glotzten ihn an.

«Ja, Leute», sagte er, «die meinen mich.»

Phelps war ganz unten. Gelegenheitstrinker. Glücksspiel. Falsche Freunde. Man nennt ihn «Baltimore Bullet», das Geschoss aus Baltimore (so wie Usain Bolt der Pfeil aus Jamaica ist), und am liebsten hätte er sich die Kugel gegeben.

Er kam sich vor wie ein Fisch an Land. «Das ist nicht mein erster Fehler», sagte er gramgebeugt, «und ich bin sehr enttäuscht von mir.» Aber dieses «Sorry, Leute» hatten die Leute mittlerweile zu oft gehört.

Schon 2004 hatte er sich wegen einer Alkoholfahrt 18 Monate auf Bewährung und eine Zwangsteilnahme am Programm «Mütter gegen Trunkenheit am Steuer» eingehandelt.

Oder 2009: Er wurde in einen Autounfall verwickelt – und besass keinen Führerschein.

«Wir gaukelten eine heile Welt vor»

Damals, im Jahr nach seinen acht Goldmedaillen von Peking, kam es ganz dick: Das Boulevardblatt «News of the World» brachte ein Foto, das den grössten Olympioniken der Gegenwart beim Paffen einer Marijuanapfeife zeigte.

Sponsor «Kellogg`s» beendete kurz danach den lukrativen Werbevertrag, der Sünder wurde gesperrt, ging in Sack und Asche, nahm die inhalierte Haschischwolke mit Bedauern zurück und gelobte Besserung – bis zum nächsten Eklat.

Die Zeit, die Phelps hinter sich hat, nennt er «den dunkelsten Ort, an dem ich jemals war.» Er geriet unters Brennglas der Öffentlichkeit.

Da war die «Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS)» in der Jugend. Die unverarbeitete Beziehung zum Vater, der die Familie im Stich liess, als Michael noch keine Zehn war. Das Trinken, Pokern und Zocken auf Pferderennbahnen. Der Hass aufs Schwimmen. Der Krach mit Bob Bowman, der ihm fast zwanzig Jahre lang Trainer und Ersatzvater war. Alles war nur noch PR und Fassade. «Wir gaukelten eine heile Welt vor», sagt Bowman beim Rückblick auf London 2012.

«Das beste Gefühl meines Lebens»

Danach war Schluss. Rücktritt. «Ich bin leer, ohne Saft», sagte Phelps. Fast zwei Jahre war er raus aus dem Sport. Wie will er nochmal so gut sein wie früher, munkeln die Zweifler, geht das ohne Doping? Phelps sagt dann immer: «Jeder kann glauben, was er will. Ich weiss, dass ich sauber bin.»

Jetzt also Rio. Ab morgen. «Team Daddy» ist bereit, und auch Boomer wird notfalls mitbrüllen, wenn es im Spurt ums letzte Hurra geht. Das grösste Hurra bleibt aber auf jeden Fall das am 5. Mai, abends um 19.21 Uhr, als Phelps Vater wurde. «Es war», sagt er, «das beste Gefühl meines Lebens.»

Michael Phelps lebt. Unsterbliche sterben nicht.

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