BLICK: Bernhard Russi, können Sie eigentlich einige Worte auf Koreanisch sprechen?
Bernhard Russi: Nein, kann ich nicht. Obwohl ich in den letzten 17 Jahren als Pistenbauer mehr als dreissig Mal in Pyeongchang war. Am 20. August 2001 habe ich den Berg, auf dem die Abfahrten stattfinden, zum ersten Mal gesehen. Aber die Sprache, das ist ganz schwierig.
Mittlerweile wurden auf diesem neu erschlossenen Berg 60 000 Bäume abgeholzt. Ist das vertretbar?
Ich habe die Bäume nicht gezählt. Ich weiss nur, dass wir eng mit den Naturschützern zusammengearbeitet haben. Für jeden abgeholzten Baum wurden an einem anderen Ort drei Bäume gepflanzt. Spezielle rare Exemplare hat man ausgegraben und verpflanzt.
34 Familien mussten umgesiedelt werden. Wie würden Sie reagieren, wenn Sie für Olympische Spiele Ihr Haus in Andermatt verlassen müssten?
Entwurzelt zu werden, ist nie schön und immer eine Leidensgeschichte. Ich habe aber in Südkorea mit vielen Betroffenen gesprochen. Und bin meistens auf Verständnis gestossen. Man hat diesen Menschen grosszügige Alternativen geboten. Aber klar: Es ist nie angenehm. Das war es auch für die Schweizer Familien nicht, die wegen der Neat ihre Häuser verlassen mussten. Entscheidend ist, wie man diesen Leuten begegnet.
Was für Spiele sind zu erwarten?
Die Südkoreaner sind offene und begeisterungsfähige Leute. Offener als beispielsweise die Japaner oder die Chinesen. Aber klar: Stimmung wird es vor allem bei den Wettbewerben geben, die die Südkoreaner interessieren. Eisschnelllauf, Short Track, Eiskunstlauf. In gewissen anderen Bereichen werden das Feuer und die Begeisterung wohl etwas fehlen. Aber die Spiele werden top organisiert sein. Trotzdem: Es ist sicher nicht so, dass alle 50 Millionen Südkoreaner jetzt diesen Spielen entgegenfiebern.
Warum wollte man denn die Spiele?
Pyeongchang heisst so viel wie «Friede und Gedeihen». Man will, wie das meist die Antriebsfeder für Bewerbungen ist, gedeihen. Die Stadt liegt in der Provinz Gangwon-do. Dort will man den Tourismus weiter fördern. Viele Leute aus dem Moloch Seoul fahren im Sommer und im Winter in diese Provinz, um an der frischen Luft zu sein. Um zu wandern, Golf zu spielen und eben Ski zu fahren.
Rührt man wie in Sotschi 2014 mit der ganz grossen Kelle an?
Der Gigantismus der Spiele ist ein Dauerthema. Aber Pyeongchang ist überschaubar. Wir bauen, wie beispielsweise auch für Peking 2022, entgegen dem Reglement der FIS, nur eine neue Skipiste. Frauen und Männer fahren Abfahrt, Super-G und die Kombi auf der gleichen Strecke.
Lange Zeit gab es Sicherheitsbedenken wegen dem unberechenbaren nordkoreanischen Diktator Kim Jong Un. Haben Sie da keine Bedenken?
Ich hatte bei meinen Aufenthalten nie ein mulmiges Gefühl. Bei solchen Sachen bin ich schon etwas fatalistisch veranlagt. Aber klar sind jetzt alle erleichtert, dass sich die Situation noch weiter entspannt hat.
Jetzt nehmen plötzlich auch nordkoreanische Sportler teil.
Ja, das ist so geplant. Man wird bei der Eröffnungsfeier gemeinsam einmarschieren und ein gemeinsames Eishockeyteam bei den Frauen stellen. Das ist jetzt schon der grösste Olympiasieg dieser Spiele. Und es zeigt, dass die olympische Idee eben doch lebt und der Sport verbindend und vermittelnd wirken kann. Die Teilnahme nordkoreanischer Sportler freut mich ungemein.
Und die Teilnahme russischer Sportler? Aus einem Land, das ja flächendeckend Staatsdoping betrieben hat?
Eine schwierige Frage. Aber auch da gibt es ja saubere Athleten, die unter neutraler Flagge starten. Da verstehe ich nicht, dass sie am schönsten Tag ihres Sportlerlebens, als Olympiasieger und Goldmedaillengewinner, ihre Nationalhymne nicht hören können und nicht unter der Flagge ihres Heimatlandes starten, können. Wer unschuldig ist, sollte dieses Recht haben. Sportler, die einst gedopt haben und eine Sperre abgesessen haben, die haben dieses Recht ja auch.
Sie sind seit 1972 bei allen Olympischen Winterspielen. Welche Spiele waren die schönsten?
Ganz klar Lillehammer 1994. Spiele, die von einem Volk getragen wurden, das den Wintersport liebt und lebt. Besser geht es nicht. Ich habe ja die ganze Entwicklung hin zum Gigantismus miterlebt. Trotzdem haben die Spiele vor allem für die Sportler nie an Faszination eingebüsst. Das spüren die Sportler erst so richtig, wenn sie einmal mit dabei sind.
Darum müsste die Schweiz mal wieder Winterspiele organisieren?
Ja, unbedingt. Wenn wir wollen, dann wird Sion 2026 die Spiele erhalten. Als Gegner gibt es ja nur noch die österreichische Bewerbung. Da sind wir klar im Vorteil. Aber die Schweizer Bevölkerung muss es wollen. Weg vom Gigantismus, zurück in die Berge und in das Herz der Alpen. Da muss auch mal der Bundesrat aufwachen und eine Vision entwickeln. Wir wollen wieder alle jungen Leute im Schnee haben. Wir wollen die gesündeste Jugend der Welt haben. Wir wollen in der Schule jeden Tag Sport auf dem Programm haben. Das wäre eine Vision, verbunden mit dem Ziel Olympische Winterspiele. Aber ob man in Bern diesen Mut hat, weiss ich nicht.
Zuletzt noch einige olympische Behauptungen. Beat Feuz wird Abfahrts-Olympiasieger.
Da wette ich nicht dagegen.
Simon Ammann wird zum dritten Mal Doppel-Olympiasieger.
Nein.
Lara Gut wird auch in Pyeonchang nicht Olympiasiegerin.
Doch. Diesmal schafft sie es.
In vier Jahren hat es in Pyeonchang verwaiste Sportstätten.
Wenn man damit geschlossene Stadien meint, dann ist das möglich. Aber die Skipisten werden nicht verwaist sein. Die werden weiter rege benutzt.
Carlo Janka wird die olympische Abfahrt bestreiten.
Ja. Aber die Betonung liegt auf bestreiten. Trotzdem: Er hat es mit seiner ausserordentlichen Karriere verdient, dabei zu sein. Und er nimmt ja niemandem den Platz weg. Und vor allem in der Abfahrt kann vieles überraschendes geschehen.
Der FC St. Gallen wird unter Matthias Hüppi Erfolg haben.
Logisch! Schliesslich bin ich ja bei diesem Klub Aktionär.
Die Schweiz wird in Südkorea so viele Medaillen holen wie noch nie und die Marke von Calgary (15) übertreffen.
Wenn wir unser Potenzial ausschöpfen, dann ist das möglich. Allein aus dem Ski alpin sollten sechs kommen. Zwei von Wendy Holdener, dann mindestens eine von Lara Gut und Beat Feuz, dann eine in der Männer-Kombination und im Team-Wettbewerb.
Im Februar finden in Südkorea vom 9. bis 25. Februar die 23. Olympischen Winterspiele statt. Hier finden Sie alle wichtigen Informationen rund um das Grossereignis in Pyeongchang: Zeitplan, Sportarten, TV-Übertragung und alle Schweizer Athleten.
Im Februar finden in Südkorea vom 9. bis 25. Februar die 23. Olympischen Winterspiele statt. Hier finden Sie alle wichtigen Informationen rund um das Grossereignis in Pyeongchang: Zeitplan, Sportarten, TV-Übertragung und alle Schweizer Athleten.