Was für ein Triumph – was für ein Teufelskerl! Keine 24 Stunden nach dem Triumph von Jérémy Desplanches sorgt Noè Ponti einen Tag vor dem 1. August für den nächsten Knaller und gewinnt völlig überraschend Bronze. «Zwei Medaillen für die Schweiz, das ist verrückt. Ich bin unglaublich glücklich», sagt Ponti und erklärt, wie es zum Exploit kam.
Nach dem er sich am Vortag im Halbfinal über die 100 Meter Delfin schon einmal den 3. Platz krallte, sei in ihm der Glaube gewachsen, dass eine Medaille tatsächlich möglich sein könnte. «Es war dann aber nicht einfach, diese Erwartungshaltung zu bestätigen», sagt Ponti, «aber ich habe im Final dann alles rausgehauen.»
Es wird nicht nur für Ponti ein Rennen der Superlative – denn auch US-Star Caeleb Dressel, neuer Olympiasieger mit 49,55, bricht den Weltrekord. Und: Auf Platz 2 pulverisiert der ungarische Youngster Kristof Milak mit 49,68 Europarekord. Und gleich dahinter unterbietet Ponti mit 51,15 seine eigene Bestmarke um zwei Hundertstel.
Dank Desplanches mit noch mehr Selbstvertrauen
Der Torpedo aus dem Tessin muss sich kneifen, um zu kapieren, welche historische Dimension sein Erfolg hat. «Ich lebe wie einem Traum – es ist irgendwie alles surreal», sagt Ponti und scherzt: «Ich werde mit dieser Medaille ins Bett gehen.» Es ist das erste Edelmetall für seinen Heimatkanton seit 1984. Die Springreiterin Heidi Robbiani war es, die in Los Angeles die gleiche Medaille gewann.
Ausgerechnet in LA! Dort, wo der Bieler Etienne Dagon über die 200 Meter Brust ebenfalls mit Bronze brilliert und der Schweiz erstmals in der Olympia-Geschichte eine Schwimm-Medaille beschert. 37 Jahre später bricht der Genfer Jérémy Desplanches in Tokio den Bann und bringt über die 200 Meter Lagen die nächste Bronzemedaille ins Trockene.
Noè Ponti ist bei diesem Moment im Aquatics Center live dabei und lässt sich von diesem denkwürdigen Auftritt inspirieren. «Diese gigantische Leistung von Jérémy hat mir sehr geholfen, noch mehr Selbstvertrauen aufzubauen», sagt Ponti und beschreibt, wie er sich auf der Busfahrt vom Athletendorf ins Aquatics Center mit Musik in Stimmung brachte.
Ponti: «Zum Glück habe ich keine Freundin»
Am liebsten knallt er sich dabei die Hits von US-Rapper Tupac Shakur auf die Ohren und reist in Gedanken in die USA. In Raleigh, wo Nino Niederreiter in der NHL mit den Carolina Hurricans wirbelt, will sich Ponti im Herbst an der North Carolina State University als Wirtschaftsstudent einschreiben und sich mit den besten US-Schwimmern des Landes messen.
Der mehrjährige Auslandsaufenthalt ist allerdings ein Abenteuer mit vielen Fragezeichen – sportlich wie privat. «Zum Glück habe ich momentan keine Freundin», sagt das Supertalent aus Locarno, «aber meine Familie wird mich sicher sehr vermissen. Und es wird auch für mich nicht einfach, wenn ich so lange Zeit weg bin.»
Besonders hart trifft es die Beziehung zu seiner drei Jahre älteren Schwester, die ihn schon als Baby zum Schwimmen animierte. Bereits mit drei Jahren drehte er ohne Flügeli seine Runden. Und kaum war er im Kindergarten, nahm er an den ersten Wettkämpfen teil und gehörte schnell zur nationalen Spitze.
In Paris 2024 wäre sogar Gold möglich
Die Entscheidung die Schweiz zu verlassen hat aber nicht nur die Familie aufgewühlt, sondern auch beim Verband für ein paar hohe Wellen gesorgt. «Wir können seinen beruflichen Plan nachvollziehen, aber für uns ist sehr bedauerlich, so eine Perle zu verlieren», sagt Markus Buck, Chef Leistungungssport von Swiss Swimming.
Ponti wurde die letzten zwei Jahre im Leistungszentrum in Tenero gezielt gefördert. Es besteht das Risiko, dass er als Ausländer in Übersee nicht gleich gefördert wird. «Die Infrastruktur in den USA ist zwar top, aber es ist fraglich, ob er die gleiche Aufmerksamkeit und Fürsorge erfährt wie die einheimischen Studenten», sagt Buck, «der Status als Medaillengewinner könnte ihm aber helfen, den nächsten Schritt zu machen.»
Ponti verspricht – trotz neuem Studium – sein Talent voll auszuschöpfen. «Er hat genau den richtigen Körperbau und die Konstitution von weichem Bindegewebe und Muskulatur», schwärmt Buck und macht einen kleinen Scherz: «Zum Laufen ist das nicht ideal, da stolpert man öfter über die eigenen Füsse.» Diese Gummibeine könnten den Ausnahmekönner in Paris 2024 allerdings zu Gold führen, ist Buck überzeugt. «Wenn er weiter hart an sich arbeitet und Glück hat, kann er Olympiasieger werden.»