Was für ein Feuerwerk von Belinda Bencic! Eine halbe Stunde vor Mitternacht zündet die Frau aus Flawil auf dem Centre Court die letzte Rakete. Sie gewinnt nach Schützin Nina Christen an diesem Super-Samstag kurz vor dem Schweizer Nationalfeiertag die insgesamt dritte Goldmedaille. «Dieser Moment ist einfach gewaltig und wunderschön. Ich brauche wohl noch eine Weile, bis ich das verdaut habe und begreifen kann, was das für mich und die Schweiz bedeutet», sagt Bencic mit glänzenden Augen und greift nach der Medaille.
Sie ist in der Geschichte des Schweizer Tennis bereits der vierte Olympia-Champion – nach Marc Rosset in Barcelona 1992 und «Fedrinka» im Doppel 2008 in Peking. Angesprochen auf diese Tatsache, dass Roger Federer 2012 in London im Einzel nur Silber gewann und Martina Hingis mit Timea Bacsinszky im Doppel vier Jahre später in Rio 2016 das gleiche Schicksal erleiden musste, reagiert Bencic spontan mit einer rührenden Widmung. «Ich habe meine Goldmedaille für Martina und Roger gewonnen – ich habe das Werk für meine beiden grossen Vorbilder vollendet.»
Federer fieberte mit
Eigentlich hatte Federer vorgehabt, mit Belinda Bencic an diesen Olympischen Spielen den Mixed-Wettbewerb zu bestreiten. Das lädierte Knie verhinderte jedoch eine Teilnahme. Umso mehr fieberte Federer aus der Ferne mit und schickte Bencic am Anfang und zum Schluss des Turniers ein SMS. «Er hat mir noch kurz vor dem Final viel Glück gewünscht und gesagt, das heute ein wunderschöner Tag sei, um meine Träume zu erfüllen», verrät Bencic und schwärmt von der Verbundenheit mit Federer. «Es ist unglaublich, wie fest mich Roger unterstützt. Seine Nachrichten haben mich unheimlich gefreut und extrem motiviert.»
Es ist genau diese Energie, die sie für das nervenaufreibende und schweisstreibende Endspiel im Einzel noch gebraucht hat. Die Bilanz auf ihrem Weg zu Doppel-Gold ist brutal: Zehn Spiele in acht Tagen und die Zusatzbelastung im Erfolgs-Doppel mit Viktorija Golubic ergeben eine Präsenz von über zwanzig Stunden auf dem Tennisplatz. Zweieinhalb Stunden dauert der Thriller gegen ihre langjährige Freundin und Favoritenschreck Marketa Vondrousova, die als nur Weltnummer 42 den japanischen Superstar Naomi Osaka eliminierte. «Marketa hat ein unglaubliches Turnier gespielt – und auch mir alles abverlangt», sagt Bencic nach dem 7:5, 2:6, 6:3 völlig entkräftet.
«Mein Kopf war leer»
Zum Segen wird im dritten Satz eine Zwangspause, als beim Stand von 4:3 am rechten Fuss der Nagel aufbricht und sie behandelt werden muss. «Der Unterbruch kam genau richtig. Ich konnte nicht mehr denken, mein Kopf war leer und die Beine auch. Ich habe nur noch ums Überleben gekämpft. Ich habe gehofft und versucht, den Ball irgendwie auf die andere Seite zu bringen», sagt Bencic und findet noch mehr Worte für die dramatische Schlussphase: «Ich war an diesem Punkt, an dem es eigentlich nicht mehr weitergeht. Aber ich hatte diesen Traum, der mir Kraft gab. Ich habe so gespielt, als wäre es das letzte Match meines Lebens.»
Ein Krimi, der im Schnelldurchlauf ihre Karriere widerspiegelt. Dank Vater Ivan startet die kleine Belinda durch und gehört schnell zu den besten Mädchen des Landes. Unter der Führung von Melanie Molitor, der Mutter von Martina Hingis, gelingt ihr der Sprung in die Weltspitze. Sie schafft es mit 17 Jahren an den US Open in den Viertelfinal und 2019 in den Halbfinal. Zwischendurch wird sie geplagt von Verletzungen. Von Kopf bis Fuss tut ihr immer etwas weh, bis sie nicht mehr unter den Top 300 zu finden ist.
Bencics Tränen
Erst die Liebe zu Fitnesstrainer Martin Hromkovic bringt die grosse Heilung und den Weg zurück zum Glück – mit der Krönung zur Olympiasiegerin. Herzzerreissend die Szene nach dem Matchball: Bencic sackt in sich zusammen und weiss nicht, ob sie lachen oder weinen soll, also macht sie beides. Mit Tränen und einem Grinsen rennt sie aufgelöst zur Tribüne und sucht Halt bei ihrem Freund. Und auch er bricht in Tränen aus und sagt: «Geniesse einfach diesen Moment in vollen Zügen – du hast es dir verdient.»