Hochkonzentriert steht Heidi Diethelm Gerber im Schiessstand in Rio, zielt, und schiesst der Schweiz eine Bronze-Medaille vom Olympia-Himmel. Die Thurgauerin bricht in Rio den Bann und holt das erste Schweizer Edelmetall.
Im Interview mit der «Aargauer Zeitung» spricht die Olympia-Heldin nun ehrlich und offen darüber, warum sie nicht gehypt wird wie beispielsweise die andere Bronzegewinnerin Giulia Steingruber (22).
«Mir ist bewusst, dass ich keine Modellathletin bin», sagt Diethelm Gerber. «Trotzdem ist das nicht immer einfach für mich. Ich musste lernen, mich so zu akzeptieren, wie ich bin.»
Die 47-Jährige erklärt: «Ich habe ein Zeitfenster, um meine sportlichen Ziele zu erreichen. Ich darf mir aber keine Gedanken über Aussehen und Alter machen. Aus irgendeinem Grund habe ich Sportschiessen und nicht Kunstturnen gewählt.»
Sie sagt, dass es nicht immer einfach sei für sie, in der Öffentlichkeit als Sportlerin wahrgenommen zu werden: «Es gab Phasen, in denen ich Mühe hatte, zu akzeptieren, nicht dem Bild einer typischen Sportlerin zu entsprechen. Noch heute schlucke ich schon mal leer, wenn ich wie im olympischen Dorf die jungen Modellathletinnen sehe.»
Und weiter: «Ich kann nicht verhehlen, dass ich gern anders rüberkommen würde. Aber das lässt sich nicht ändern. Also: Akzeptieren und damit umgehen. Mit dem Wissen, dass ich von der Öffentlichkeit verrissen worden wäre, wenn ich keinen Erfolg gehabt hätte. So nach dem Motto: die unsportlichste Olympiateilnehmerin. Auf diesen Worst Case war ich aber vorbereitet.»
Auch der Schiesssport hat es oft schwer, als Sportart akzeptiert zu werden. Heidi Diethelm Gerber: «Es ist mir bewusst, dass für viele nicht ersichtlich ist, was das mit Sport zu tun hat. Aber auch wenn es statisch wirkt, hat Sportschiessen sehr viel mit Sport zu tun. Es braucht mehr als eine ruhige Hand und ein gutes Auge. Insbesondere im Bereich der Feinmuskulatur müssen wir viel trainieren, um über 60 Schuss in der Position stabil zu bleiben. Da braucht es ebenso viel Kraft und Koordination wie bei anderen Sportarten auch. Und das von der Zehe bis zum Finger. Dazu kommt die mentale Belastung, die sehr kräfteraubend ist.»
Mit 47 Jahren, wenn andere Frauen in Lebenskrisen geraten, feiert Heidi Diethelm Gerber also ihren grössten Triumph, lacht und sagt: «Vielleicht konnte ich mit dem Schiessen diese Krise abwenden! Aber wir Frauen nehmen uns in diesem Alter vielleicht zu sehr zurück. Wir haben eine lange Karriere als Mutter hinter uns, die Kinder sind selbständig. Viele kommen an den Punkt, an dem sie nicht so recht wissen, was sie wollen. Verständlich. Denn nach 20 Jahren als Mutter kann das Gefühl aufkommen, immer nur gebraucht worden zu sein. Was zur Folge hat, dass man die Selbstachtung verliert. Und dann lässt man zu vieles mit sich geschehen. Ich will die Frauen dazu ermuntern, Risiken einzugehen. Das können auch verrückte Projekte sein wie meines.» (wst)