Initiator Urs Lehmann und der Olympia-Traum
«Wir haben alle Trümpfe in der Hand»

Die Enttäuschung ist riesig. Aber Aufgeben ist keine Option: «Wir waren den Olympischen Spielen in den letzten 75 Jahren noch nie so nahe wie jetzt», sagt Initiator Urs Lehmann.
Publiziert: 12.12.2023 um 19:55 Uhr
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Aktualisiert: 13.12.2023 um 08:07 Uhr
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Swiss-Ski-Präsident Urs Lehmann ist enttäuscht, dass es mit Olympia 2030 in der Schweiz nicht geklappt hat.
Foto: Keystone
Urs Heller («Schweizer Illustrierte»)
Schweizer Illustrierte

Dölf Ogi ist mächtig sauer auf das Internationale Olympische Komitee. Sie auch?
Urs Lehmann:
Ich bin nicht sauer, aber natürlich enttäuscht. Doch wir haben vom IOC einen Sonderstatus erhalten und damit eine sehr gute Perspektive. Wenn wir weiterhin gemeinsam am gleichen Strick ziehen und unsere bislang sehr gute Arbeit fortsetzen, treten wir in den Privileged Dialogue und haben gute Aussichten, die Spiele 2038 zu kriegen. So nahe an Olympia war die Schweiz in den letzten 75 Jahren noch nie. Jetzt liegt es an uns: Können wir die vier vom IOC formulierten Anforderungen respektive Wünsche erfüllen? Wollen wir sie erfüllen?

Das IOC hat Sie und uns verarscht. Die Tür für die Kandidatur wurde weit geöffnet und dann wieder brutal zugeknallt. Trauen Sie den Zusagen des IOC noch? Will das IOC wirklich einfachere Spiele?
Diese Frage kann ich erst beantworten, wenn wir die nächsten Gespräche mit dem IOC geführt haben. Wir treffen uns im ersten Quartal des neuen Jahres, um zu den vier offenen Punkten Klarheit zu kriegen. Nach diesen Gesprächen wissen wir mehr.

Artikel aus der «Schweizer Illustrierten»

Dieser Artikel wurde erstmals in der der «Schweizer Illustrierten» publiziert. Weitere spannende Artikel findest du auf www.schweizer-illustrierte.ch.

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Wie verhandelt man eigentlich mit den weissen alten Männern vom IOC? Direkt mit Präsident Thomas Bach oder mit seinem Vorzimmer?
Bundesrätin Viola Amherd hatte Kontakt mit Thomas Bach. Wir sprachen mit Generalsekretär Christophe De Kepper und mit Jacqueline Barrett, Director Future Olympic Games.

Dass sich plötzlich Frankreich um die Spiele bewarb, war keine gute Nachricht. Macron hat zwar sein Land nicht im Griff, aber Power, wenn es um Olympia geht.
Man weiss, dass Präsident Macron öfter mit Thomas Bach gesprochen hat. Und vor allem: Er kann dem IOC eine Staatsgarantie anbieten. Das Schweizer Dossier finanziert die Spiele zu einem grossen Teil privat über Sponsoring.

Heisst aber auch: Frankreich ist näher dran.
Wir haben Nachholbedarf. Auf Bundesebene. Auf Ebene des Nationalen Olympischen Komitees. Wir müssen den politischen Draht nach Lausanne auf allen Ebenen, auch auf der politischen, stärken.

Keine Spur von Heimvorteil? Immerhin hat das Internationale Olympische Komitee seit 1915 seinen Sitz in der Schweiz.
Ich glaube, der Heimvorteil hilft uns schon ein wenig. Das IOC wollte uns als «Host Nation» nicht mit leeren Händen dastehen lassen. Deshalb haben wir jetzt immerhin die Zusage eines Privileged Dialogue und gute Aussichten für 2038.

Sie müssen vier Anforderungen erfüllen. Kriegen Sie das hin?
Das IOC verlangt Anpassungen bei den Austragungsorten. Zum Beispiel zwei statt drei Eishockeyhallen, kürzere Wege für die Nordischen. Das ist zu schaffen. Dann wollen sie unser Finanzierungsmodell vertieft und im Detail verstehen. Kriegen wir die 250 Millionen an Sponsoringeinnahmen hin? Können wir die Garantie über 200 Millionen leisten, welche privatwirtschaftlich sicherzustellen ist?

Bleibt noch der «public support». Wie wollen Sie die Rückendeckung des Volkes dokumentieren? Eine Volksabstimmung ist ja nicht nötig und wäre erfahrungsgemäss auch nicht zu empfehlen.
In den Wochen vor dem IOC-Entscheid haben alle repräsentativen Umfragen gezeigt: Die Schweizerinnen und Schweizer sind für Olympische Spiele in unserem Land zu haben. Jetzt haben wir einen Dämpfer gekriegt. Es muss gelingen, das Feuer wieder neu zu entfachen.

Krone richten und weitermachen?
Nein. Innehalten, die Situation in Ruhe analysieren, mit Swiss Olympic und mit dem IOC diskutieren. Dann muss Swiss Olympic entscheiden, ob die Schweiz das Dossier Olympia für 2038 weitertragen soll. Ich hoffe es natürlich sehr, die Schweiz hat alle Trümpfe in der Hand!

2038 – man rechne: Viele, die heute für Olympia kämpfen und die nötigen Millionen beschaffen müssen, sind 2038 nicht mehr aktiv im Berufsleben.
Ein heikler Punkt, eine sehr schwierige Aufgabe. Das Projekt Olympia wird so zu einem Projekt für zwei Generationen.

Ist in der Schweiz alles geklärt? Können St. Moritz und Wengen damit leben, dass die alpinen Medaillen in Crans-Montana vergeben werden?
Crans-Montana richtet 2027 die Ski-WM aus. Da ergibt es Sinn, dass wir im Wallis auch die Olympiarennen auf der WM-erprobten Infrastruktur austragen würden. Auch das lokale OK hätte somit WM-Erfahrung. Graubünden kommt nicht zu kurz: Freestyle, Bob, Biathlon.

Sie sind Präsident von Swiss-Ski, führen in schwierigen Zeiten Similasan als CEO, engagieren sich für Olympia, haben Frau und Kind. Wie kriegt man das hin?
24/7! Ich erlebe eine superintensive Zeit, bin auch jedes Wochenende im Einsatz. Das geht schon, aber natürlich nicht ewig. Ich muss früher oder später die Situation optimieren.

Reden wir über Swiss-Ski. Das Volk erwartet einen unschlagbaren Odi und den Gewinn des Nationencups.
Die Erwartungshaltung ist hoch, dessen sind wir uns bewusst. Umso wichtiger ist es, dass wir alle fokussiert bleiben und nicht abheben. Wir surfen auf einer Welle des Erfolgs. Wir wissen, dass man da auch runterfallen kann. Aber dann müssen wir parat sein und blitzschnell wieder rauf aufs Brett.

Urs Lehmann arbeitete viel. «Derzeit 24/7», sagt er.
Foto: Adrian Bretscher

Ihr Eindruck von Marco Odermatt: Bewältigt er den Rummel?
Ich staune immer wieder, wie er damit fertig wird. Er geht damit souverän, schon fast spielerisch um. Das kann man nicht genug hoch einschätzen.

Ich bin beeindruckt, wie Lara Gut-Behrami gerade Ski fährt. Sie auch?
Lara hat sich noch einmal weiterentwickelt, beeindruckt mit ihrer Reife, Gelassenheit und Souveränität. Dass sie eine exzellente Skifahrerin ist, wissen wir seit 15 Jahren. Aber jetzt fährt sie, auch dank guter Entourage, nochmals in einer anderen Liga.

Ohne ein Wort über die Weltcupabfahrten in Zermatt können wir dieses Gespräch nicht abschliessen.
Acht Rennen, acht Absagen. Da müssen wir uns schon fragen: Können wir das noch einmal stemmen? Lässt sich das trotz den Absagen finanzieren? Andrerseits: Zermatt steht mit Absagen nicht allein da. Auch andere Destinationen wie Sölden und sogar Beaver Creek mussten kapitulieren. Marco Odermatt hat zum Zeitpunkt unseres Gesprächs genau drei Trainingsfahrten absolviert und noch keinen Meter gewertetes Rennen.

Geld ist bei Swiss-Ski nicht das Problem.
Nein. Unsere Strukturen und Finanzen sollten unter normalen Umständen in den nächsten Jahren stabil sein. Wir dürfen uns auf treue Partner und Sponsoren verlassen und konnten mit ihnen langfristige Engagements abschliessen.

Und die nächste Generation Rennfahrer steht auch bereit?
Bei den Herren schon. Da haben wir im letzten Winter im Europacup so viel gewonnen wie wohl nie zuvor. Bei den Frauen braucht es etwas mehr Geduld. Aber auch hier haben wir einige grosse Talente im Kader.

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