Wir haben versucht, draussen mit Sicherheitsabstand eine Art Stammtisch zu simulieren. Sheila Graber, Jürg Stahl und Roger Rüegg: Wie sehr vermissen Sie ein Bier unter Freunden nach einem Training oder Wettkampf?
Graber: Es muss nicht zwingend ein Bier sein (schmunzelt). Aber klar, mal wieder zusammensitzen und etwas in einer grösseren Gruppe zu trinken, das wäre schön. Früher sassen wir immer am ersten Donnerstag des Monats in einer Beiz ganz hier in der Nähe, trafen unterschiedliche Gruppen des Vereins. Doch seit Corona ist nichts mehr wie früher.
Stahl: Beim ersten Lockdown war es vielen gar nicht bewusst, was die Schliessung der Sportinfrastrukturen und das Verbot der Vereinsaktivitäten eigentlich bedeutet. Erst mit der Zeit hat man gemerkt, was einem fehlt. Das Training, das Zusammensein danach, klar. Aber eben auch noch viel mehr.
Was meinen Sie konkret?
Stahl: Die Sportvereine sind ein Ort, wo Bewegung in Gemeinschaft stattfindet und gelingt. Sport ist viel mehr als nur Training oder Wettkampf. Das Zusammensein gehört ebenso dazu wie die Anreise zu einem Training, oder auch die Enttäuschung und der gemeinsame Jubel nach einer guten Leistung. Ich spüre aus den Vereinen heraus, dass der zweite Lockdown viel schlimmer war.
Der Bundesrat lockerte zuletzt die Zügel – auch im Amateursport. Gruppen bis 15 Personen dürfen draussen wieder gemeinsam trainieren.
Stahl: Aber die Sicherheit, wann alles vorbei sein wird, haben wir immer noch nicht.
Rüegg: Wir von der Leichtathletik-Vereinigung Winterthur sind in der glücklichen Lage, dass wir draussen wieder trainieren dürfen. Natürlich unter Einhaltung der Schutzkonzepte. Aber dass nach dem Training einfach alle direkt nach Hause fahren – daran musste ich mich in den letzten Monaten zuerst einmal gewöhnen.
Der Austausch fehlte?
Rüegg: Genau. Es ist doch so: Der Chirurg kommt von einer Knieoperation zurück, die Biologiestudentin erzählt von den Prüfungen, und der Förster von seinem Tag im Wald. Jeder hat eigene Freuden und Sorgen, vielleicht auch Fragen. Man tauscht sich aus – ist doch toll. Doch genau diese Diversität fehlt.
Welche Note geben Sie unserer Landesregierung, wenn sie auf die letzten 13 Monate zurückblicken?
Rüegg: Eine schwierige Frage. So wurde erst vor kurzem durch Studien erwiesen, dass die Ansteckungsgefahr draussen an der frischen Luft viel geringer ist als drinnen. Vielleicht hätte man den Vereinen daher letzten Sommer mehr Freiheiten geben können. Aber im Nachhinein ist man immer schlauer.
Was hätten Sie anders gemacht?
Rüegg: Wir haben dank Swiss Olympic und unseren Verbänden super Schutzkonzepte und sollten wieder mehr auf die zurückgreifen. Sobald es die epidemiologische Lage zulässt, ist es meiner Meinung nach an der Zeit, dass die Vereine wieder mehr Verantwortung übernehmen dürfen. Meiner Meinung nach hätte man auch sportartspezifische Regeln machen können. Ich spüre bei unseren Mitgliedern langsam aber sicher eine gewisse Müdigkeit. Dem gilt es, nun mit voller Kraft entgegenzuwirken und den Sport als Teil der Lösung zu sehen.
Stahl: Als Corona uns erstmals traf, war es richtig, flächendeckend möglichst verständliche Regelungen einzuführen. Irgendwo musste der Bundesrat eine Grenze ziehen. Jetzt sind wir an einem anderen Punkt und erhalten mehr und mehr Freiheiten. Aber natürlich wünschen wir uns alle möglichst rasch die Rückkehr zur Normalität. Beklagen will ich mich deshalb nicht. Die Verbände und Vereine in der Schweiz werden nun alles dafür tun, den gesteckten Rahmen optimal zu nutzen. Warum sollten wir hier auf dieser Leichtathletikanlage, wo wir gerade stehen, nicht einen Wettkampf mit 15er-Serien durchführen? Das wäre speziell, klar. Aber immer noch viel besser als nichts.
Im Vergleich zu anderen Ländern durfte in der Schweiz draussen immer Sport getrieben werden.
Stahl: Richtig. Man darf auch nicht vergessen, dass die Menschen unter 20 Jahren seit Monaten mit Schutzkonzepten, aber letztlich fast ohne Einschränkungen, ihrer Leidenschaft nachgehen können. In den total 81 Verbänden sind das fast 800’000 Personen. Das ist ein sehr positives Beispiel, welches ebenfalls erwähnt werden sollte.
Aber Wettkämpfe gab es nicht. Sheila Graber, warum sind diese so wichtig?
Graber: Wenn man hart trainiert, will man irgendwann auch wissen: Hat das Training auch wirklich etwas gebracht oder habe ich mich für nichts gequält? Dazu kommt, dass es wohl in der Natur des Menschen liegt, sich mit anderen messen zu wollen. Ich bin Primarlehrerin und sehe dies täglich auf dem Schulplatz – da ist es nicht egal, welches Team beim Tschüttelen gewinnt.
Rüegg: Dazu kommt, dass Wettkämpfe für Vereine auch in finanzieller Sicht sehr wichtig sind. Bei uns in Winterthur generieren wir einen Drittel aller externen Einnahmen durch solche Anlässe. Wir brauchen sie, um unsere Finanzen im Griff zu haben.
Jürg Stahl, macht Ihnen das Sorgen?
Stahl: Sicher. Die Wettkämpfe sind für viele Vereinsmitglieder der Antrieb im Training und für die Vereine auch finanziell interessant. Nun, nach 13 Monaten, sind wir an einem Scheidepunkt. Wenn es noch lange dauert, bis wir zur Normalität zurückkehren, habe ich grossen Respekt, dass viele gar nicht mehr in die Vereine zurückkehren und in dieser Zeit keine neue Mitglieder dazukommen.
Gibt es bereits konkrete Zahlen?
Stahl: Viele Verbände haben die Krise gut gemeistert. Aber es gibt auch Anzeichen eines Groundings. Zum Beispiel in Kampfsportarten wie Judo, Karate oder Boxen. Da wurden schon zahlreiche Mitgliedschaften aufgelöst. Und ich habe auch grosse Sorgen, was Sponsoren betrifft. Da sind die Zahlen noch nicht so schlimm. Doch aus der Bankenkrise 2008 wissen wir, dass es den Vereinssport oft verzögert trifft, weil die Verträge von Sponsoren und Gönnern zunächst noch bindend sind, dann aber später, wenn sie auslaufen, nicht erneuert werden. Welchen Einfluss dann allenfalls eine steigende Arbeitslosigkeit, eine Rezession und eine kritische Finanzlage der öffentlichen Hand haben, ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abzuschätzen.
Wie gelingt es, wenigstens die Mitglieder bei der Stange zu halten?
Stahl: Ein Einzahlungsschein schicken reicht einfach nicht mehr. Teuer ist eine Mitgliedschaft zwar oft, nicht. Aber es gibt trotzdem Leute, welche von der Corona-Krise hart getroffen wurden. Gut möglich, dass sie sich das Geld sparen wollen.
Rüegg: Wir hatten seit mehr als einem Jahr keinen Event mehr, an dem wir Emotionen wecken konnten. Es besteht die Gefahr, dass viele den Einzelsport für sich entdeckt haben und lieber alleine joggen gehen, als etwas im Verein zu tun. Oder dass generell nicht mehr so viel Sport getrieben wird, weil schlicht die Motivation fehlt.
Stahl: Wichtig ist, dass wir mit den Menschen sprechen. Und vielleicht müssen wir lernen, den Sponsoren und Gönnern, aber auch den vielen ehrenamtlichen Helfern, bewusster und häufiger Danke zu sagen. Die Krise hat jedem bewusst gemacht, wie verletzlich unser System ist. Dabei ist es genau jetzt umso wichtiger, körperlich und geistig fitte Leute zu haben. Nur so kommen wir aus dem Coronatief raus. Der Sport bietet ideale Voraussetzungen dafür – vor allem jener in den Vereinen. Aber es liegt an uns allen, das den Menschen bewusst zu machen. Der Ball liegt auf dem Penaltypunkt: Aber wir müssen ihn auch versenken.
Wie soll das gelingen?
Stahl: Wie müssen alle Unentschlossenen überzeugen, dass ein Verein etwas Positives ist. Nur so können wir alte Mitglieder halten und neue gewinnen. vielleicht haben wir es früher viel zu wenig überlegt: Was bringt ein Verein überhaupt? Was ist sein Wert? Klar, , Respekt, Freundschaft, Höchstleistung. Das war und wird wichtig bleiben. Aber warum geht man in einen Verein?
Ihre Antwort?
Stahl: Der Verein ist eine Art Heimat und kreiert Erlebnisse – ein Ort wo sich Menschen wohlfühlen, abschalten, sich austauschen können. Gemeinsam viel bewegen, gemeinsam viel erleben. Ein Sporterein vereint alle in der Leidenschaft für das, was sie tun. Wir von Swiss Olympic wollen der Politik und der Öffentlichkeit noch selbstbewusster und konsequenter aufzeigen, welchen Wert und welche Bedeutung die Sportvereine für die Gesellschaft hat – Durchlässigkeit, Resilienz, Kohäsion, Inklusion und Lebensfreude, um nur einige Qualitäten zu nennen.
Graber: Er gibt ein Gemeinschaftsgefühl.
Rüegg: Wenn mir Eltern ihre Kinder ins Training bringen, sind auch sie super glücklich. Ihre Töchter und Söhne können raus, toben sich aus, machen etwas selbstbestimmt. Und sie lernen, aufeinander zuzugehen und zuzuhören. Das ist keine Einbahnstrasse – oft sind sie es viele Jahre später, die zum Beispiel in eine Rolle als Trainer schlüpfen.
Stahl: Ich bin vor 41 Jahren als 12-Jähriger in den Verein eingetreten, den Roger jetzt in einem jungen Alter präsidiert. Ich habe so viel erlebt. Du, Sheila, bist noch sehr jung und doch schon im Vorstand, übernimmst Verantwortung. Wo ist so etwas schon möglich? In der Wirtschaft brauchst du viel länger, ehe du eine verantwortungsvolle Position übernehmen kannst. Du hast sie schon mit nur 23 Jahren.
Rüegg: Wenn Kinder erstmals zu unserem Verein stossen, haben sie oft Träume. Von Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften. Irgendwann wird den meisten bewusst, dass sie es wohl nicht bis dahin schaffen werden. Das ist nichts als logisch. Aber das macht überhaupt nichts, denn dann wissen sie, dass nicht allein die messbaren Leistungen wichtig sind. Im Sport geht es um viel mehr – er ist eine Lebensschule.
Wann wird im Sportland Schweiz alles wieder wie früher sein?
Graber: Eine schwierige Frage. Alles, ohne jegliche Einschränkung – viel Publikum, grosse Wettkämpfe, viel Nähe… Ich weiss es nicht.
Rüegg: Ich hoffe dank den Impfungen bis spätestens Ende August. Dann haben wir vor, die Schweizer Nachwuchs-Meisterschaft hier zu organisieren (schmunzelt).
Stahl: Der Sport hat die Kraft, um wieder aufzustehen. Das ist eine Grundhaltung des Sports. Auch wenn die aktuelle Situation anspruchsvoll und herausfordernd bleibt , bleibe ich optimistisch – weil ich die Kraft und Leidenschaft der Sportvereine kenne! Wir schaffen das!
Eine Umfrage von Swiss Olympic bei Verbänden und Vereinen bringen finanzielle Sorgen zum Vorschein. Doch es gibt auch viel Zuversicht.
Noch ist nichts wie früher. Aber der Amateursport atmet langsam wieder auf. Mit einem dritten, moderaten Öffnungsschritt machte der Bundesrat vor knapp zwei Wochen mehreren hunderttausend Vereinsmitgliedern wieder Mut. Die neuesten Vorgaben: Sportliche Aktivitäten für Erwachsene sind für Gruppen mit bis zu 15 Personen wieder erlaubt. Kann der Mindestabstand von 1,5 Meter nicht eingehalten werden, muss eine Maske getragen werden.
Auch Wettkämpfe dürfen in diesem kleinen Rahmen wieder ausgetragen werden, im Gegensatz zum Profi-Sport (50 Zuschauer in Hallen, 100 draussen) ohne Publikum. Die Änderungen betreffen alle Sportarten, die draussen stattfinden. In geschlossenen Räumen sind Kontaktsportarten in geschlossenen Räumen weiterhin nicht erlaubt.
Finanzielle Lage ist angespannt
Swiss-Olympic-Präsident Jürg Stahl sieht in der neuesten Verordnung des Bundesrats einen «kleinen Schritt in Richtung Normalität.» Fakt ist aber auch: Die Amateurvereine kämpfen nach wie vor ums Überleben. Eine Umfrage von Swiss Olympic bei 65 Verbänden ergab, dass die Corona-Krise bei 58 Prozent eine «Verschlechterung» oder «starke Verschlechterung» der finanziellen Lage bewirkte. Umso dankbarer ist Stahl über die gesprochenen Stabilisierungspakete des Bundes. «Sie sind für viele Sportverbände und ihre Vereine überlebenswichtig», sagt er.
18 Prozent der befragten Vereine geben an, dass viele oder zumindest einige Mitglieder ihren Jahresbeitrag zurückgefordert hätten. Satte 61 Prozent glauben, dass sich ihre finanzielle Lage 2021 verschlechtern wird – auch, weil sich Sponsoren zurückziehen könnten. Immerhin: Den Mut verliert fast kein Verein. So sagen 70 Prozent, dass sie «zuversichtlich» oder gar «sehr zuversichtlich» in die Zukunft blicken. Bloss 7 Prozent sieht schwarz, 23 Prozent sind unentschlossen.
Was alle vereint? Klar, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Eine Umfrage von Swiss Olympic bei Verbänden und Vereinen bringen finanzielle Sorgen zum Vorschein. Doch es gibt auch viel Zuversicht.
Noch ist nichts wie früher. Aber der Amateursport atmet langsam wieder auf. Mit einem dritten, moderaten Öffnungsschritt machte der Bundesrat vor knapp zwei Wochen mehreren hunderttausend Vereinsmitgliedern wieder Mut. Die neuesten Vorgaben: Sportliche Aktivitäten für Erwachsene sind für Gruppen mit bis zu 15 Personen wieder erlaubt. Kann der Mindestabstand von 1,5 Meter nicht eingehalten werden, muss eine Maske getragen werden.
Auch Wettkämpfe dürfen in diesem kleinen Rahmen wieder ausgetragen werden, im Gegensatz zum Profi-Sport (50 Zuschauer in Hallen, 100 draussen) ohne Publikum. Die Änderungen betreffen alle Sportarten, die draussen stattfinden. In geschlossenen Räumen sind Kontaktsportarten in geschlossenen Räumen weiterhin nicht erlaubt.
Finanzielle Lage ist angespannt
Swiss-Olympic-Präsident Jürg Stahl sieht in der neuesten Verordnung des Bundesrats einen «kleinen Schritt in Richtung Normalität.» Fakt ist aber auch: Die Amateurvereine kämpfen nach wie vor ums Überleben. Eine Umfrage von Swiss Olympic bei 65 Verbänden ergab, dass die Corona-Krise bei 58 Prozent eine «Verschlechterung» oder «starke Verschlechterung» der finanziellen Lage bewirkte. Umso dankbarer ist Stahl über die gesprochenen Stabilisierungspakete des Bundes. «Sie sind für viele Sportverbände und ihre Vereine überlebenswichtig», sagt er.
18 Prozent der befragten Vereine geben an, dass viele oder zumindest einige Mitglieder ihren Jahresbeitrag zurückgefordert hätten. Satte 61 Prozent glauben, dass sich ihre finanzielle Lage 2021 verschlechtern wird – auch, weil sich Sponsoren zurückziehen könnten. Immerhin: Den Mut verliert fast kein Verein. So sagen 70 Prozent, dass sie «zuversichtlich» oder gar «sehr zuversichtlich» in die Zukunft blicken. Bloss 7 Prozent sieht schwarz, 23 Prozent sind unentschlossen.
Was alle vereint? Klar, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.