Fabian Cancellara, war das am Mittwoch Ihr allerletztes Rennen? Es kann ja keinen schöneren Moment für den Rücktritt gegen.
Fabian Cancellara: Es ist sicher mein allerletztes Rennen gewesen, bei dem die Leistung zählt. Sicher wäre es jetzt in Rio auch wunderschön, zu sagen: Danke, das wars! Aber ich bin Angestellter des Trek-Teams. Mein Vertrag läuft bis Ende Jahr. Als ich nach der Etappe nach Bern aus der Tour de France ausgestiegen bin, bin ich einfach nach Hause gefahren. Hatte nicht einmal die Gelegenheit, mich von meinen Trek-Kollegen zu verabschieden. Auf dem Heimweg hat mich das sehr mitgenommen und traurig gestimmt. Meine Team-Kollegen haben so oft für mich ihre Rücken gekrümmt und geschuftet. Und jetzt bin ich einfach weg? Ich habe mich zwar noch nicht entschieden – aber so kann ich doch nicht gehen. Ich bin kein schlechter Mensch. Vielleicht werde ich für mein Team noch ein Kriterium in Belgien fahren – aber das wird dann bloss noch eine Ehrenfahrt.
Der Entscheid, dass Ihre sechzehnte Profi-Saison ihre definitiv letzte ist, steht ja seit langem fest. Fällt Ihnen der Rücktritt dennoch schwer?
Nach dieser Gold-Medaille von Rio ist es für mich sicher einfacher. Aber es war vom ersten Trainings-Camp im Herbst an schwierig. Immer wieder das Wissen, dass ich etwas zum letzten Mal mache. Nach den Frühlings-Klassikern in Flandern sind mir auf dem Markt-Platz von Brügge ebenfalls die Tränen gekommen, wie nach meiner letzten Tour de Suisse. Aufhören ist schwieriger, als Rennen zu gewinnen.
Bereuen Sie also, dass es Schluss ist?
Nein, überhaupt nicht. Es ist für mich in den letzten Monaten oft sehr schwer gewesen, ich habe Probleme gespürt. Nicht körperliche. In anderen Bereichen. Ich bin ja Jahre lang immer unterwegs gewesen. Meine Frau Stefanie daheim mit meinen beiden Töchtern Giuliana, die zehn Jahre alt ist, und der vierjährigen Elina, war quasi alleinerziehende Mutter. Wenn ich daheim bei der Familie war, hatte ich manchmal das Gefühl, ich würde bloss stören. Ich hatte manchmal nicht einmal mehr Lust, meinen Koffer auszupacken. Das will ich jetzt ändern, wir wollen eine ganz normale Familie sein, Vater und Mutter mit unseren zwei Töchtern. Das will ich in Zukunft geniessen.
Also bloss die Familie und das Leben geniessen?
Klar, ist es schön, wieder vermehrt Freunde zu treffen. Zu grillieren. Mit den Kindern zu spielen. Aber das allein ist nicht mein Ziel. Wir wollen, wie gesagt, eine ganz normale Familie sein. Unsere Kinder gehen in keine Privatschule, sondern in die ganz normale. Auch ich will nach dem Radsport wieder eine sinnvolle Arbeit. Eine neue Herausforderung. Ich bin ja erst 35-jährig. Ich weiss, dass dieser Übergang für uns alle schwierig wird. Deshalb ist es gut, dass ich nach meinem Olympiasieg sofort nach Hause fliegen kann. Dass ich daheim gar keine Zeit habe, lange nur zu feiern, weil gleich am Montag wieder der Familien-Alltag beginnt und Giuliana wieder in die Schule muss. Dieser normale Familien-Alltag hilft mir, nach meinem Olympia-Triumph nicht in ein Loch zu fallen.
Zum Olympia-Triumph von Rio – woher habe Sie nach sechzehn Profi-Jahren und acht Jahre nach Peking noch einmal diese Stärke im Kopf geholt?
Ich bin von Zürich nach Brasilien geflogen mit dem klaren Ziel, eine Medaille zu gewinnen. Welche das sein würde, war mir damals noch egal. Ich wäre mit jeder zufrieden gewesen. Nach dem Strassenrennen ist mir klar geworden, dass ich im Zeitfahren noch einmal Gold holen kann. Die Strecke war zwar nicht auf mich zugeschnitten, aber ich hatte daheim auf einem ähnlichen Parcours alles dafür getan. Ich habe schon seit längerer Zeit mit einem Mentaltrainer zusammengearbeitet. Der hat mir mögliche Lösungen aufgezeigt, wie ich Hindernisse überwinden kann.
Dann waren Sie vor dem Zeitfahren in Rio Ihrer Sache also ganz sicher?
Ja und nein. Physisch bin ich wohl sogar noch ein bisschen stärker als vor vier Jahren in London. Aber dann habe ich immer wieder mich als starken Fabian gesehen und rund herum fünf oder sechs andere Fabians, die zweifelten. Es ist nicht leicht gewesen, mich gegen diese durchzusetzen. Aber ich habe es auf den Zeitfahr-Tag hin geschafft.
Was bedeutet Ihnen das zweite Olympia-Gold?
Ich bin extrem stolz darauf. Ich schätze den Rio-Sieg auf jeden Fall viel höher ein, als mein Gold von Peking. Jetzt habe ich Sport-Geschichte geschrieben. Nicht nur in der Schweiz. Nicht bloss im Radsport. Auch international. Das macht mich vielleicht zu einer Legende.
Stehen Sie also auf gleicher Höhe mit Ferdy Kübler?
Was die Tour de Suisse betrifft, stehe ich wohl auf gleicher Höhe wie Kübler und Koblet. Aber ich habe nie eine Tour de France gewonnen, bin nie Strassen-Weltmeister geworden.
Dafür sind Sie zweifacher Olympiasieger.
Das stimmt, Kübler war das nie. Die Erfolge von Kübler/Koblet sind unvergesslich, einfach in einer anderen Zeit. Ich hoffe einfach, dass meine Erfolge den ganzen Schweizer Sport für die Zukunft inspirieren und in den verbleibenden Olympia-Tagen in Rio auch das gesamte Schweizer Team.