Fünf Minuten bevor in Rio die Geisterstunde begann, hatten die Spiele am für einmal bebenden Zuckerhut ihre erste echte Sensation – und auf allen drei deutschsprachigen Sendern suchten die Reporter verzweifelt nach Worten.
Der Brasilianer Thiago da Silva (22) wurde mit 6.03 Metern Olympiasieger im Stabhochsprung. Weil der grosse Favorit und Weltrekordmann Renaud Lavillenie aus Frankreich diese Höhe zweimal knapp verpasste und dann auf 6,08 Metern scheiterte.
Das Gold ging also an einen Brasilianer, der bis jetzt noch nie höher als 5,93 Meter gesprungen war - gegen den Mann, der schon auf 6,16 Metern zum Himmel flog!
Dieser Ablauf tönt so banal, aber wer dabei war, bekam Gänsehaut. «Ach da werden unsere Nerven nochmals strapaziert, das Stadion ist ein Tollhaus», hörte man bei SRF2.
ZDF-Poschmann zweifelt
«So ein Drehbuch kann kein Mensch auf dieser Welt schreiben. Das muss man erlebt haben», tönt es aus den ORF-Mikrofonen. Nur beim ZDF sagt Leichtathletik-Moralist Wolf-Dieter Poschmann: «In Brasilien sind die Dopingkontrollen sicher nicht so streng wie in andern Ländern. Das darf an dieser Stelle auch mal gesagt werden!»
Als der Franzose zur 6,08 Meter hohen Latte anlaufen wollte, buhte und pfiff das Publikum. Da hatte Poschmann mit seiner Schelte Recht: «Das ist unsportlich, liebe Freunde. Das habt ihr nicht nötig!» Ein Vorwurf, der selbst schon im Turn-Tempel gegen die einheimischen Fans erhoben wird.
Alarm im SRF2-Studio
Ja, was war das für ein Finale der TV-Nacht. Sie hatte eigentlich schon um 21.33 Uhr unheimlich begonnen. SRF2-Moderatorin Steffi Buchli musste das Interview mit den schlecht belohnten Beachvolleyball-Heldinnen Heidrich/Zumkehr im Büro machen, weil das Studio im oberen Stock geräumt werden musste.
Und dann der neue Knall. Buchli: «Wir müssen jetzt das ganze Haus verlassen. Es rumpelt immer mehr am Strand von Ipanema.» Was für Bilder vom tobenden Meer und den Windstürmen.
Fliegende Computer…
Als sich kurz darauf Sascha Ruefer vom drei Kilometer entfernten Beachvolleyball-Stadion an der Copacabana meldet, sagt er: «Es haut uns alles um die Ohren, Computer kommen geflogen, alles festhalten bitte.» Und Experte Martin Laciga: «Jetzt wirds gefährlich!» Aber das Spiel zwischen den USA und den siegreichen Brasilianern ging weiter…
Um 22.20 Uhr eine erste Schaltung ins Radstadion zur fernsehfreundlichen Omnium-Entscheidung (total sechs Disziplinen) mit dem Waadtländer Gael Suter. Er wird am Ende Zwölfter. Claude Jaggi: «Sein Ziel war ein Diplom, aber er hat sich wacker geschlagen!» Und der Bahnsport bestimmt keine Fans verloren.
Der kubanische Sexskandal
Wir zappen wieder einmal rum, bleiben beim Volleyball Polen – Kuba (3:0) hängen. SRF-Reporter Andreas Eisenring weiss Bescheid, spricht dauernd von den jungen Sprungfedern aus der Karibik. Um 22.48 Uhr klärt er uns auf: «Kuba muss hier soviele junge Spieler einsetzen, die einfach noch nicht bereit sind. Denn kurz vor Olympia sind bei einem Turnier in Finnland sechs kubanische Spieler nach einem offensichtlichen Sexskandal mit Vergewaltigungsvorwürfen verhaftet worden.» Sie wurden alle gesperrt…
Genug Wienerschnitzel?
Wir zappen weiter, hören beim ORF den nationalen Olympia-Sekretär Peter Mennel reden. Er schwärmt vom grossen Erfolg des Austria-Hauses auch in den sozialen Netzwerken. «Wir haben schon 40'000 Gäste hier bewirtet. Soviel, wie in London während den ganzen Spielen. Einige standen stundenlang für ein österreichisches Bier an!» «Haben sie noch genug Wienerschnitzel für die zweite Woche?», fragt der Reporter. «Ja, der Erfolg des Hauses hat nichts mit den Erfolgen des Teams zu tun!»
Null Medaillen, trotz 49 Ländern mit einer Goldauszeichnung und 72 Nationen mit Edelmetall. Dies nach 176 von 306 Entscheidungen. Und auf Rang 4 mit elfmal Gold und je zwölfmal Silber und Bronze liegt Russland. Also die Nation, die das IOC ausgeschlossen hat, dann die Verantwortung aber auf die internationalen Fachverbände abschob. Nun, im russenlosen Leichtathletik-Stadion müssen jetzt andere Nationen verdächtigt werden.
Gratis-Wasser von oben
Und endlich beginnen dort die Wettkämpfe. Aber kaum sind einige Vorkämpfe im Gang, schüttet es aus allen Wolken. Dort wo sieben Stunden zuvor noch die Sonne mit 35 Grad vom Himmel geblendet hatte. Lukas Studer, der Interview-Mann von SRF2, zeigt uns um 01.53 Uhr seinen Platz – mit vielen Wasserflaschen am Boden: «Sechs Liter Wasser haben der Kameramann und ich am Morgen getrunken. Jetzt ist das Wasser gratis…»
Die lange Pause nützen der ORF mit Volleyball, das ZDF mit Basketball (Spanien – Argentinien 92:73). Und SRF2? Die haben uns am besten unterhalten. Mit 13 Minuten voller Impressionen aus den ersten zehn Tagen. Ein Feuerwerk von guten Szenen mit Emotionen, Frust und Freude. Das war spitze! Danke.
Der doppelte Hürden-Start
Dann ging es trotz nasser Bahn weiter. 110-Meter-Vorläufe der Hürden-Sprinter. In den ersten zwei Serien zwei Deutsche (John und Bühler), die kläglich scheitern und vor der TV-Kamera bei Norbert König fassungslos sind. Matthias Bühler: «Ich habe mich nie gut gefühlt. Ich möchte hier meinen Eltern danken, die alles finanziert haben. Tut mir leid, ich bin enttäuscht, aber eben auch nur ein Mensch.» Dann dreht er sich nochmals um: «Und Gruss nach Hasslach…» Dort wurde offenbar mitgefiebert!
Und dann sahen wir um 04.20 Uhr John und Bühler plötzlich wieder in den Startblöcken! Aber hallo. Bei SRF2 hört man es zuerst. Von Patrick Schmid: «Weil die Bedingungen bei den ersten zwei der sechs Vorläufen deutlich schlechter waren, dürfen die ausgeschiedenen Athleten nochmals starten.»
Doch es wurden gar nicht mehr alle erwischt. Sie waren schon aus dem Stadion. Am Ende schafft es nur der Jamaikaner Carter. Poschmann: «So eine Chance bekommst du nur einmal im Leben. Wir haben sie verpasst.»
«Die Brust zählt!»
Um 02.18 Uhr hechtet sich der Brasilianer De Olivera in einem Vorlauf mit einem Köpfler ins Ziel und in den Halbfinal. Poschmann: «Die Brust zählt!» Wir schmunzeln – und ahnen nicht, dass um 04.08 Uhr ein solcher Sturz ins Ziel Shaunae Miller von den Bahamas das Gold bringt. Vor der völlig verzweifelten Allyson Felix aus den USA. Bei SRF2 sagt Mario Gehrer: «Sie ist nach Gold gesprungen – hinein ins Glück. Unglaublich!»
20 Minuten zuvor hatte der Kenianner David Rudisha über die 800 Meter in 1:42,15 seinen London-Titel verteidigt. Vor dem Algerier Makhloufi und dem Amerikaner Murphy.
Und wir drehen die Zeitreise von Rio nochmals zurück. Die 400-Meter-Hürden-Vorläufe bei den Damen wurden für unsere zwei Athletinen zum Debakel. Ihr Auftritt bei Lukas Studer, nur einige Minuten nach dem Lauf, berührte wegen den zurückgehaltenen Tränen unsere Herzen.
Petra Fontanive ringt nach den 56,80 Sekunden (6. Platz) mit den Worten: «Ich habe mir mehr erhofft. Ich war eigentlich fit, doch jetzt bin ich draussen. Ich habe enfach mehr erwartet!»
Ehrliche Worte von Lea…
Lea Sprunger schafft 56,58 Sekunden (4. Platz nach der Disqualifikation einer Gegnerin): «Das war das schlechteste Rennen meines Lebens! Ich kam nie in den Rhythmus, obwohl ich sehr positiv war. Aber als ich hörte, dass ich auf Bahn 1 laufen muss bekam ich Panik. Auf dieser Bahn bin ich noch nie gestartet. Ich hatte Angst und habe alles falsch gemacht!» Da fielen selbst Lukas Studer die tröstenden Worte.
Und bei SRF2 kennen jetzt auch die beiden Moderatoren die älteste Journalisten-Weisheit: Niemand kann die eigenen Sportler oder Teams zum Sieg schreiben, reden oder schreien! Bei SRF2 tönte das so: «Eigentlich sollte der zweite Platz für Sprunger reserviert sein. Also kein Problem!»
Scheisse oder Merde…
Beim ZDF machte es eine gescheiterte Dame verbal noch klarer: Jackie Baumann. «Scheisse, keine Erklärung, alles Scheisse, sorry!»
Ja, der Frust muss manchmal raus. Wir wissen nicht, wie oft der klare Stabhochsprung-Favorit Lavillenie nach dem elektrisierenden und verlorenen Schock-Finale das Wort «Merde» gebraucht hat…