Das Drama um Schweizer Ruder-Held Göpf Kottmann
22 Tage nach seinem Olympia-Coup war er tot!

An Olympia 1964 in Tokio ruderte Göpf Kottmann zu Bronze. Doch dann schlug das Schicksal brutal zu. Seine Witwe und sein Ruder-Freund fragen sich bis heute: Warum musste er sterben?
Publiziert: 18.07.2021 um 00:46 Uhr
|
Aktualisiert: 18.07.2021 um 19:48 Uhr
1/11
Tokio 1964: Göpf Kottmann (l.) gewinnt Olympia-Bronze.
Foto: Keystone
Daniel Leu

Die Stimme stockt. Sekunden der Stille. Auch fast 57 Jahre nach seinem Tod fällt es Trudi Waser schwer, über den tragischen Unfall ihres damaligen Ehemanns zu reden. Und auch sein einstiger Freund und Ruderkollege Melch Bürgin wird beim Erzählen immer leiser und nachdenklicher.

Das Schicksal von Gottfried «Göpf» Kottmann hat vor über einem halben Jahrhundert die Schweiz bewegt. Doch mittlerweile ist es längst in Vergessenheit geraten, ausser bei denen, die es damals hautnah miterleben mussten. Sie quälen bis heute Fragen, auf denen sie nie zufriedenstellende Antworten erhalten haben.

Der 6. November 1964 gilt als der schwarze Tag des Schweizer Sports. Um 1.45 Uhr nachts hört das Herz von Hugo Koblet im Bezirksspital Uster auf zu schlagen. Der «Pedaleur de charme» stirbt 39-jährig an den Folgen eines Autounfalls. Vier Tage zuvor war er mit seinem schneeweissen Alfa Romeo bei Esslingen ZH in einen Birnbaum gerast.

Nur knapp 21 Stunden später schlägt das Schicksal an jenem Freitag ein zweites Mal gnadenlos zu: Göpf Kottmann verunglückt bei einer Tauchübung tödlich. Der allseits beliebte und bodenständige Zürcher wird nur 32 Jahre alt.

Angst vor der Tauchübung

22 Tage zuvor steht Göpf Kottmann noch auf der Sonnenseite des Lebens. An den Olympischen Spielen in Tokio gewinnt er auf der Regattastrecke von Toda an seinem 32. Geburtstag im Ruder-Einer Bronze. Es ist der bisherige Höhepunkt einer erfolgreichen Karriere. Zuvor war er schon dreimal Europameister geworden und holte sich in allen sieben olympischen Bootsklassen mindestens einmal den SM-Titel.

Der gelernte Schreiner Kottmann zählt aber zu der Zeit nicht nur im Rudern zu den Besten, sondern auch im Bobsport. An der WM 1960 in Cortina d’Ampezzo gewann er im Team von Max Angst im Vierer Bronze.

Als Kottmann das Sportjahr 1964 in Angriff nimmt, fehlt ihm in seiner Karriere nur noch eine Olympia-Medaille. Acht Jahre zuvor war sein Boot bereits auf dem Weg nach Melbourne, als die Schweiz wegen des Ungarn-Aufstands kurzfristig auf eine Teilnahme verzichtete. Und 1960 in Rom reichte es im Vierer ohne Steuermann «nur» für den sechsten Platz.

Die Schweiz an Olympia 1964

65 Schweizer Männer und eine Frau reisten 1964 an die Spiele nach Tokio. Mit einmal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze belegte die Schweiz Rang 22 im Medaillenspiegel.

Am erfolgreichsten waren die Reiter. In der Dressur gewann Henri Chammartin († 2011) auf Woermann Gold und die Mannschaft um Chammartin, Gustav Fischer († 1990) und Marianne Gossweiler-Fankhauser (78) Silber.

Neben dem Ruderer Gottfried Kottmann (Bronze im Einer, † 1964) gewann auch noch Eric Hänni (82) Silber. Der Leichtgewichts-Judoka unterlag bei der Olympia-Premiere erst im Final dem Einheimischen Takahide Nakatani.

Weitere gute Schweizer Leistungen: Bürgin/Studach, 4. Ruder-Doppelzweier. Hans Albrecht, 4. Schnellfeuerpistole. Urs von Wartburg, 5. Speerwurf. Peter Jutzeler, 5. Ringen griechisch-römisch und Freistil. August Hollenstein, 5. Freies Gewehr.

65 Schweizer Männer und eine Frau reisten 1964 an die Spiele nach Tokio. Mit einmal Gold, zweimal Silber und einmal Bronze belegte die Schweiz Rang 22 im Medaillenspiegel.

Am erfolgreichsten waren die Reiter. In der Dressur gewann Henri Chammartin († 2011) auf Woermann Gold und die Mannschaft um Chammartin, Gustav Fischer († 1990) und Marianne Gossweiler-Fankhauser (78) Silber.

Neben dem Ruderer Gottfried Kottmann (Bronze im Einer, † 1964) gewann auch noch Eric Hänni (82) Silber. Der Leichtgewichts-Judoka unterlag bei der Olympia-Premiere erst im Final dem Einheimischen Takahide Nakatani.

Weitere gute Schweizer Leistungen: Bürgin/Studach, 4. Ruder-Doppelzweier. Hans Albrecht, 4. Schnellfeuerpistole. Urs von Wartburg, 5. Speerwurf. Peter Jutzeler, 5. Ringen griechisch-römisch und Freistil. August Hollenstein, 5. Freies Gewehr.

1964 soll Kottmanns Olympia-Traum endlich in Erfüllung gehen. Doch an der EM in Amsterdam holt er nicht die geforderte Medaille, die die Schweiz als Qualifikation für Tokio ausgegeben hat. «Er hätte deshalb nicht nach Japan reisen dürfen», erinnert sich Melch Bürgin, der sich damals in Amsterdam mit Martin Studach im Doppelzweier für Olympia qualifiziert. «Weil wir die einzigen beiden Schweizer Ruderer gewesen wären, wehrten wir uns beim Verband. Mit Erfolg. Schliesslich wurde nochmals ein Rennen organisiert, in dem Göpf die Selektionszeit erfüllte.»

Auch wegen Bürgins Engagement gewinnt Kottmann dann in Tokio im Einer seine lang ersehnte Olympia-Medaille. Dank eines unglaublichen Endspurts. Bürgin: «Unsere Ruderwettkämpfe fanden zu Beginn der Spiele statt. Deshalb hatten wir danach noch fast zwei Wochen Zeit, um gemeinsam das Land zu bereisen. Das war sehr schön.» Kottmann selbst verspricht damals in Tokio: «Und jetzt Mexiko in vier Jahren!»

Auf dem Rückflug in die Heimat erzählt Kottmann, der dem Korps der Zürcher Seepolizei angehört, Bürgin erstmals von einer bevorstehenden Tauchübung, an der er teilnehmen soll. «Er vertraute mir an, dass er Angst habe, da er abends ungerne tauche.»

Als die Ruderer am Flughafen Kloten landen, wird Kottmann von seiner Ehefrau Trudi und vielen Freunden feierlich empfangen. «Von dort aus ging es weiter ins Bootshaus im Belvoir», erinnert sich Trudi Waser. «Nach einem Morgenessen kam die Presse. Göpf gab ein Interview nach dem anderen. Erst gegen 16 Uhr gingen die letzten Pressevertreter, und wir hatten endlich ein bisschen Zeit für uns.» An diesem Tag sieht Bürgin Kottmann ein letztes Mal.

Bekam er Panik?

Freitag, 6. November 1964. Es ist der letzte Tag der Alarmbereitschaft. Nach drei Tagen, an denen Kottmann auf Pikett stand, findet oberhalb der Rheinbrücke Rüdlingen bei Flaach ZH die Manöverübung statt, vor der Kottmann ein ungutes Gefühl hatte. Im Einsatz die Zürcher Seepolizei und das Feldarmeekorps 4. Kottmanns Aufgabe ist es, schwimmend eine Leuchtrakete abzuschiessen.

Kottmann hat für den gleichen Abend aber auch eine Einladung für den Polterabend seines Ruderfreunds Nicolas Gobet in Basel. «Aber das war typisch Göpf, der Sportsmann. Er wollte seine Taucherkameraden nicht allein lassen, sondern erklärte, dass er trotz der Einladung auf jeden Fall kommen wolle», wird Hauptmann Grob von der Kantonspolizei später erzählen.

Auch seine Ehefrau Trudi sagt ihrem Göpf, er solle doch lieber an den Polterabend gehen und die Zeit mit seinen Freunden geniessen. «Er antwortete darauf: Während den Olympischen Spielen hätten viele seiner Arbeitskollegen für ihn gearbeitet. Deshalb sei es jetzt an der Zeit, etwas zurückzugeben.» Mit den Worten «Es ist nichts Gefährliches» verabschiedet sich Göpf von seiner Trudi.

Das Tragische daran: Melch Bürgin und seine Kollegen fahren trotzdem zu Kottmann und klingeln gegen 18.05 Uhr bei ihm zu Hause. Da öffnet Trudi die Tür und sagt, dass die Polizei vor fünf Minuten ihren Mann abgeholt hätte und sie jetzt schon zur Tauchübung unterwegs seien.

Die Stars 1964

Don Schollander – er war der erfolgreichste Teilnehmer in Tokio. Der US-Schwimmer gewann gleich vier Mal Gold, jedes Mal mit olympischem Rekord.

Ebenfalls äusserst erfolgreich war Larissa Latynina. Die sowjetrussische Kunstturnerin gewann zwei Mal Gold, zwei Mal Silber und zwei Mal Bronze.

Gewann gleich 6 Medaillen: Larissa Latynina.
Keystone

Don Schollander – er war der erfolgreichste Teilnehmer in Tokio. Der US-Schwimmer gewann gleich vier Mal Gold, jedes Mal mit olympischem Rekord.

Ebenfalls äusserst erfolgreich war Larissa Latynina. Die sowjetrussische Kunstturnerin gewann zwei Mal Gold, zwei Mal Silber und zwei Mal Bronze.

So nimmt das Schicksal seinen Lauf. Gegen 22 Uhr gehts beim Bootshaus von Ellikon los. Die vier Taucher sollen 700 Meter schwimmend zurücklegen und dann eine symbolische Sprengung mit einer Signalrakete angeben. Kottmann schwimmt voran. Nach einem halben Kilometer reisst er sich plötzlich die Gesichtsmaske runter und schreit: «Hilfe, Hilfe!» Doch das Gewicht der Ausrüstung zieht ihn innert Sekunden runter. Kottmann, der Olympia-Held verschwindet in der Tiefe. Seine Kameraden sind zwar sofort in seiner Nähe, können aber in der Dunkelheit nichts mehr für ihn tun.

Wenig später klingelts bei den Kottmanns in Zürich an der Tür. Ein Polizist teilt Trudi mit, dass ihr Mann wohl ertrunken sei und man ihn noch nicht gefunden habe. «Ich konnte das nicht glauben. Ein Ruderer kann doch nicht ertrinken. Ich sagte deshalb dem Polizisten, dass ich das erst glaube, wenn man ihn gefunden hat.»

Am nächsten Morgen hat sie die Gewissheit: Ihr geliebter Göpf ist tot. Er wird auf dem Rücken liegend gefunden, an einem Baumstrunk hängend. 120 Meter von der Stelle entfernt, an der er am Vortag unterging. Kottmanns Ausrüstung ist noch intakt, die Luftflasche noch zur Hälfte gefüllt.

Trudi Waser kämpft auch heute noch mit den Tränen, wenn sie davon erzählt. «Das war so schlimm. Ich möchte so etwas nie mehr erleben. Nie mehr!»

Bis zur Beerdigung wird Kottmann in der Totenkapelle aufgebahrt. Trudi weicht nicht von seiner Seite. Sie hält ihm stundenlang die Hand. Erhält von den Mitarbeitern warme Suppen. Will nicht wahrhaben, was passiert ist. Fragt sich immer wieder, wieso? Eine Frage, die bis heute nicht restlos geklärt ist. Bürgin glaubt, dass er sich verschluckt habe, dabei Wasser in die Lunge bekommen und schliesslich Panik gekriegt habe.

Am 11. November 1964 wird Kottmann zu Grabe getragen. In der Kirche Enge nennt der Pfarrer ihn ein «Symbol strahlenden Lebens». Fast schon kitschig: Nach zahlreichen grauen November-Tagen hintereinander scheint an jenem 11. November auf einmal die Sonne.

«Wären wir fünf Minuten früher ...»

Dass der Name Göpf Kottmann bis heute im Rudersport etwas bedeutet, dafür hat gleich nach seinem Tod Melch Bürgin gesorgt. «Wir haben noch in der Nacht nach seinem Tod eine Göpf-Kottmann-Medaille kreiert. Sie wird jährlich an die beste Rudermannschaft des Landes verliehen und hat in der Schweizer Ruderszene noch immer einen hohen Stellenwert.»

Die fünf Minuten, die den 6. November 1964 in so unglückliche Bahnen geworfen haben, beschäftigen Bürgin bis heute. «Natürlich denke ich noch oft daran. Wären wir diese fünf Minuten früher dort gewesen, wäre Göpf sicher mit uns mitgekommen, und es wäre nichts passiert. Nichts! Vorwürfe muss ich mir aber keine machen. Das war einfach Schicksal.»

Auch Trudi Waser denkt noch häufig an ihren Göpf zurück, auch wenn die Zeit die Wunden zumindest teilweise geheilt hat. Sie ist seit 53 Jahren mit Hugo Waser, ebenfalls einem ehemaligen Ruderer, verheiratet und lebt in Stansstad NW. Nach Göpfs Tod hat sie sich bewusst in die Arbeit gestürzt. «Viele sagten mir damals: ‹Nimm einen Anwalt, danach bist du eine reiche Witwe.› Doch das wollte ich nicht. Ich war ja noch jung und konnte arbeiten. Das hat mir geholfen.»

Noch einmal betont sie aber: «Die Zeit war so schlimm.» Wieder stockt die Stimme. Wieder Sekunden der Stille.

Schweizer Ruderer reisen 8 Stunden mit dem Bus
2:29
Der weite Weg nach Tokio:Schweizer Ruderer reisen 8 Stunden mit dem Bus
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?