Fabian Bösch, sportlich konnten Sie in Pyeongchang nichts ausrichten. Dennoch sind Sie der heimliche Star. Was überwiegt?
Fabian Bösch: Die Enttäuschung. Ich fühlte mich fit, lernte neue Tricks. Doch dann verkrampfte ich mich, patzte zweimal und schon wars vorbei. Schön ist, dass ich den Menschen mit einer anderen Aktion eine Freude bereiten konnte.
Sie sprechen Ihr Rolltreppen-Video an. Wie haben Sie den Rummel danach erlebt?
Es war abartig. Zwei Tage zuvor hatten Trainer Dominik Furrer und ich eine Bobfahrt mit einem Hubwagen imitiert. Dieses Video fanden auch einige witzig. Doch das ging nicht so ab. Es ist etwas vom Besten, was mir passieren konnte.
Wie meinen Sie das?
Social-Media-Präsenz ist wichtig. Slopestyle wird in keinem Land im Fernsehen übertragen. Es sei denn, es finden Olympische Spiele oder Weltmeisterschaften statt. Ein Sponsor fragt sich also, weshalb er dich unterstützen soll, wenn man sein Logo bloss alle zwei Jahre sieht.
Hatten Sie das im Hinterkopf?
Nein. Ich mache viele Videos, habe nie die Hoffnung, dass sie viral gehen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Als ich morgens aufstand, hatte ich etwa 50 Nachrichten. Seiten mit Millionen von Abonnenten teilten das Video. Ich empfand es als Ehre. 30 000 Menschen folgten mir auf Instagram, jetzt sind es 70 000. Ausländische Reporter kamen, stellten nur Rolltreppen-Fragen.
Wie kam es zur Aktion?
Unser Apartment war noch nicht bereit. Wir mussten warten, alberten rum und probierten einige Dinge an der Rolltreppe aus. Es war nicht so, dass ich einfach den Handlauf fasste und mich raufziehen liess. Das wäre ja übertrieben. Man könnte runterfallen. Ich übte, zuerst mit zwei Händen.
Wie gings weiter?
Wir warteten mit dem Video bis Passanten kamen. Leider erschienen aber immer nur einzelne Leute. Es wäre witziger gewesen, wären mehrere auf der Rolltreppe gestanden.
Ihr Coach sagte, man habe der Kreativität abseits der Piste bewusst freien Lauf gelassen. Um nicht ständig an Olympia zu denken.Deshalb wollten wir erst nach Bali. Doch wäre der Vulkan Agung wieder ausgebrochen, wäre der Flugbetrieb eingestellt worden. Also reisten wir zwei Tage früher nach Südkorea. Und was will man auch tun, wenn man nicht auf Skiern steht? Bei uns geht es immer so zu und her. Nur weiss das halt niemand.
Es gibt Leute, die Ihre Aktion nachahmen.
Ich wurde in einem Video markiert, in welchem der Versuch missglückte. Ich kenne die Person nicht, empfehle aber, es nicht nachzumachen. Ich will nicht Schuld sein.
Sie rasten schon rückwärts die Skisprungschanze in Einsiedeln hinunter, legten eine 180-Grad-Drehung hin, sprangen über eine zweite kleine Schanze und machten einen Salto. Wie kommen Sie auf solche Ideen?
Das ergibt sich einfach. Ich versuchte es zuerst auf der kleinen Schanze, fuhr vorwärts die Anlaufspur hinunter. Danach baute ich nach und nach weitere Elemente ein. Ich gehe immer Schritt für Schritt. Habe ich das Gefühl, es funktioniert, mache ich es. Sonst nicht.
Wo liegt die Grenze?
Das weiss ich nicht. Ich suche sie immer. Solange ich sie nicht überschreite, ist alles gut. Ich finde es cool, wenn man dank seinen Fähigkeiten Dinge ausprobieren kann, wovor sich andere fürchten.
Machen Sie sich selbst nie Gedanken?
Nein, ich behaupte, das lernt man. Ich habe an den X-Games einen speziellen dreifachen Salto vorgeführt, den niemand zuvor gemacht hat. Ich konnte keinem Athleten etwas abschauen. Also machte ich zuerst etwas ähnliches, das ich schon konnte, hatte aber den endgültigen Trick stets im Kopf. Irgendwann spürte ich: Jetzt schaffe ich es. Und dann zog ich es einfach durch.
Stellten Sie schon als Kind waghalsige Dinge an?
Ab und zu. Ich suchte die Grenzen auf dem Trampolin, sprang auch von Mauern und Hausdächern in den Schnee.
Was sagen die Eltern?
Sie staunen über die kreativen Ideen, sind meist positiv überrascht. Die Rennen kann sich meine Mutter jedoch nicht live anschauen. Als ich 2015 Weltmeister wurde, aber im ersten Lauf stürzte, ging sie mit dem Hund spazieren. Erst hinterher, wenn sie weiss, dass alles gut ging, schaut sie sich meine Läufe auf Video an.
Sie sagten einst, Sie sähen sich als Stuntman.
Als Amateur-Stuntman (lacht). Als Kind hatte ich den Berufswunsch nie, jetzt wird es zum Thema. Ich mache auch gerne Tricks mit dem Velo, springe über Klippen. Zudem interessiere ich mich, wie Filme gemacht werden. Doch zuerst fahre ich jetzt noch ein paar Jahre Ski.
Sie galten als Talent im alpinen Skifahren, wurden 2011 Junioren-Schweizermeister im Slalom. Weshalb der Wechsel?
Ich fahre sehr gerne Ski, wollte den Sport aber nicht über Jahre hinweg ausüben. Er ist viel monotoner als Freestyle. Die Trainingsmethoden ändern sich ab 14 Jahren nicht mehr. Ich habe nicht gewechselt, weil ich im Freestyle super sein wollte. Aber ich wollte tun, was mir Spass bereitet.
Sie haben die Medaille damals einfach in Ihrer Tasche im Keller liegen gelassen.
Medaillen sind mir nicht wichtig. Sie bringen mir nichts. Man kann sie anschauen, aber das Gefühl, das man bei einem Erfolg verspürt, lässt sich nicht wieder hervorrufen. Und darum geht es. Ich weiss nicht einmal, wo meine X-Game-Medaille ist.
Hat sich Lindsey Vonn eigentlich gemeldet? Sie twitterte nach Ihrer Rolltreppen-Aktion, sie wolle Sie 100-prozentig treffen.
Nein, und ich bin schon enttäuscht. 100 Prozent war eine klare Ansage. Mich zu finden, wäre nicht schwierig gewesen. Sie hoffte wohl, wenn sie auf den Zug aufspringe, schaue für sie auch noch etwas heraus. Aber gut: Wir hatten Wettkämpfe. Und ich war noch krank.
Elias Ambühl und Sie litten am Norovirus, wurden unter Quarantäne gestellt.
Als ich sagte, ich würde mich schlecht fühlen, wurde sofort reagiert. Andri Ragettli und Jonas Hunziker zogen aus dem Apartment aus. Elias und ich durften nicht mehr raus. Die Leute, die uns das Essen brachten, trugen Mundschutz. Das war komisch, doch ich empfand es auch als Luxus. Ich musste nicht aufstehen, um mir das Essen zu holen.
Sie erzählen das mit einem Schmunzeln. Schlug es nicht auf die Moral?
Es war sicher frustrierend. Man ist krank, sollte aber fit sein. Trotzdem sagte ich mir: ‹Das kommt schon gut.› Es war mir einfach langweilig. Ich habe viel Curling und Eisschnelllauf geschaut. Andri und Jonas sahen wir erst am Wettkampftag wieder. Wir hatten einmal via Facetime Kontakt mit ihnen.
Führen Sie das Quali-Out auf den Virus zurück?
Nicht unbedingt. Natürlich war die Vorbereitung nicht optimal. Doch letztlich war ich fit. Ich habe alles gegeben. Es wollte einfach nicht sein.
Es waren Ihre zweiten Spiele nach Sotschi. Was war anders?
In Russland war ich erst 16. Es war mein erster grosser Event. Als ich am Start stand, kam ein Kameraarm hochgeschwenkt. Ich hatte das nie zuvor gesehen. So etwas kann dich aus dem Konzept bringen. Jetzt war ich nicht mehr so nervös.
Was können Sie vom Olympischen Dorf erzählen?
Wir waren nur drei Tage dort. Ich habe vor der Abreise gesehen, dass Flüsse und Seen gefroren waren, nahm die Schlittschuhe mit und ging Schlittschuh laufen. Ich hatte Kontakt mit Langläufern. In Bokwang waren wir Freestyler unter uns.
Fiel Ihnen im Vergleich mit Sotschi etwas auf?
Es war im Prinzip dasselbe. Alles verlief reibungslos. In Sotschi hatten einige Probleme mit ihrer WC-Türe. Ein Bobfahrer hatte sich eingeschlossen und musste die Türe aufbrechen, weil er sonst den Wettkampf verpasst hätte.
Haben Sie andere Sportarten besucht?
Ja, das war super. Ich komme ja sonst kaum dazu. Ich war beim Skispringen, ging Bob und Rodeln schauen und war beim Ski-Freestyle auf der Buckelpiste. Hinterher fuhr ich mit Jonas auch noch die Strecke hinunter. Zum ersten Mal überhaupt. Am liebsten würde ich jede Sportart ausprobieren.
Haben Sie von den politischen Diskussionen etwas mitbekommen?
Ich muss gestehen: ich habe nicht viel Ahnung von Politik.
Kim Jong-un hat 200 nordkoreanische Cheerleader geschickt.
Das habe ich nicht mitbekommen.
Einige Athleten klagten über die leeren Ränge.
Ich denke, auch wir hatten weniger Zuschauer als in Sotschi. Aber in den ersten Tagen war es auch sehr kalt. Nachher kamen viele Leute, auch wenn die Tribünen nie ganz voll waren. Das Interesse an unserem Sport ist generell nicht so gross.
Wie viele Zuschauer kommen sonst?
Finden die Rennen im Tal statt, sind es schon ein paar Tausend. An den X-Games in Oslo waren es gar 20 000. Müssen die Leute jedoch in eine Gondel steigen, kommen meistens nur die Familienangehörigen.
Wie haben Sie Südkorea wahrgenommen?
Es wird viel höher gebaut als in der Schweiz. Es gibt viele Hochhaus-Überbauungen. Und alles ist grau, sehr monoton. Das Essen war gut. Ich habe vieles ausprobiert.
Erzählen Sie!
So etwas wie Mangofrucht-Gummibärchen. Ich weiss nicht genau, was es war. Auf der Packung stand «Delicious» und «Mango». Den Rest konnte ich nicht lesen. Dann gab es Waffel-Glace-Sandwiches. Auch die schmeckten super. Gar nicht gut war der getrocknete Tintenfisch, der luftdicht verpackt war. Weil man ihn überall kaufen konnte, dachte ich, das muss gut sein. Aber er schmeckte wie Hundefutter. Nach ein paar Bissen hatte ich genug.
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Fabian Bösch verbrachte die ersten vier Jahre seines Lebens in Lenzburg AG, zog dann mit seinen Eltern Markus (52) und Michèle (46) nach Engelberg OW, wo der 20-Jährige noch heute lebt. Er hat drei Schwestern. Seraina (22), Alessia (14) und Luana (12). Fabian fuhr bis ins Jugendalter Alpin-Skirennen, wurde 2011 Junioren Schweizermeister, wechselte dann zum Freestyle. Er wurde Slopestyle-Weltmeister (2015), und gewann 2016 im Big Air bei den Winter-X-Games 2016 in Aspen Gold und bei den X-Games in Oslo Silber.
Seit dem 09. Februar laufen die 23. Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. Alle Highlights und aktuellen Sportnews aus Südkorea gibts immer im Ticker.
Seit dem 09. Februar laufen die 23. Olympischen Winterspiele in Pyeongchang. Alle Highlights und aktuellen Sportnews aus Südkorea gibts immer im Ticker.