Der 22. August 2015 war ein schwarzer Tag für den Sport. Im deutschen Oschersleben steht der 15-jährige Jonas Hähle mit seinem KTM-Motorrad (38 PS, 170 km/h Spitze) am Start des Rennens um den Junior Cup. Kurz nach dem Start muss Jonas abrupt bremsen. Der Töff des Fahrers vor ihm hat einen Defekt.
Jonas stürzt. Und wird vor den Augen seiner Eltern und seines Bruders von mehreren Konkurrenten überrollt. Jonas stirbt und wird am 4. September in einem weissen Sarg beerdigt.
Wenige Wochen nach dem schwärzesten Tag in ihrem Leben halten Jonas’ Eltern einen Brief der Stiftung Deutsche Organtransplantation in ihren Händen. Bei der Lektüre rollen ihnen die Tränen über die Wangen.
Im Brief steht, dass fünf Menschen Organe ihres Jungen erhalten haben. Ein 52-jähriger Mann erhielt eine Niere von Jonas, einem 35-jährigen wurde die Bauchspeicheldrüse transplantiert. Einem 60-jährigen Mann die Leber und einem 64-jährigen die Lungenflügel.
Und auch sein Herz, das einst auch dem Motorsport gehört hat, schlägt weiter. In der Brust eines 12-jährigen Mädchens. Die Mutter verspürt zuerst einen tiefen Schmerz, als sie den Brief liest. «Warum konnte meinem Sohn niemand mehr helfen? Warum hat Jonas keine zweite Chance bekommen?», fragt sie sich.
Vater Bertram sagt zu BLICK: «Es fiel uns nicht schwer, die Organe freizugeben. Als Jonas etwa 14 Jahre alt war, haben wir gemeinsam mit ihm und seinem Bruder am TV eine Sendung über Organspende gesehen. Ich habe ihn damals gefragt: Was wäre, wenn du in diese Situation geraten würdest? Jonas sagte: Ich würde die Organe spenden. Dann bleibt wenigstens etwas von mir zurück. Deshalb haben wir dann nach Jonas’ Tod in seinem Sinne entschieden. Das war natürlich eine sehr emotionale Entscheidung.»
Nun leben fünf Menschen dank Jonas’ Tod weiter. Hilft das bei der Trauer? «Ich habe das Gefühl, dass ein Stück von ihm auf Erden weiterlebt. Das wirkt entlastend. Doch wir sind uns bewusst, dass wir unseren Jonas nicht wiederkriegen», sagt Bertram.
Die Empfänger der Organspenden kennt Bertram nicht persönlich. «Wir hoffen, es geht ihnen gut. Wir haben erfahren, dass bei niemandem Nebenwirkungen aufgetreten sind.»
Für die Familie geht die Trauerarbeit weiter. «In den Wochen nach seinem Tod dachte ich: Das alles ist ein böser Traum. Gleich verlässt er sein Kinderzimmer und kommt die Treppe runter. Doch es gibt kein Wunder. Wir sind täglich an seinem Grab und sind uns mittlerweile bewusst, dass er nie mehr zurückkommt. Vor allem Weihnachten war sehr hart.»
Auf die Frage, wie man sich in einer solchen Extremsituation ablenkt, sagt Bertram, der im Gesundheitswesen arbeitet und Menschen mit Hirnschädigungen betreut: «Ich flüchte mich in meine Arbeit. Doch zu Hause wird man überall an ihn erinnert. Das ist unglaublich hart.»
Adrian, der 17-jährige Bruder von Jonas, fährt ebenfalls Motorradrennen. Er wird seinem Sport treu bleiben. «Ich fahre auch für meinen Bruder», sagt er. Der Saisonstart ist Anfang Mai. Sein Vater akzeptiert das und steht hinter ihm. Weil er weiter überzeugt ist, dass Töff-Rennen sicherer sind als der Strassenverkehr.