Es ist die vielleicht schönste Nachricht in dieser Töff-Saison: Wir sind endlich wieder Spitze in der Seitenwagen-WM! Der Berner Markus Schlosser (49) reist mit seinem Luzerner Beifahrer Marcel Fries (54) als klarer WM-Leader zum Final-Wochenende Ende Oktober in Estoril.
Um Himmels Willen, Seitenwagen? Ja, diese wilden Kerle gibt es immer noch. Und Schlosser ist drauf und dran, eine goldene Schweizer Ära wieder aufleben zu lassen. Denn während Jahrzehnten sind wir eine gigantische Dreirad-Nation.
Tollkühne Piloten wie Hans Haldemann (†88), Edgar Strub (†79) sowie die tödlich verunfallten Fritz Scheidegger (†36) und Florian Camathias (†41) gehören in den 50er und 60er Jahren zu unseren grossen Sport-Helden, ehe Rolf Biland (70) mit 7 WM-Titeln und unfassbaren 81 Rennsiegen zur Legende wird.
Degradierung in die Anonymität
Doch dann wird die Gespann-Klasse in der Töff-WM ausgebootet. Vorher sind die Dreiräder seit 1949 auf derselben Weltbühne unterwegs wie die Zweirad-Idole Luigi Taveri, Mike Hailwood, Giacomo Agostini oder Kenny Roberts. Doch ab 1997 fliegt der Spektakelsport aus der Töff-WM, der heutigen MotoGP.
Doch vor allem in Deutschland, England und der Schweiz lebt die familiäre Szene weiter. Ohne Scheinwerferlicht, ohne grosse Sponsoren, ohne TV-Übertragungen. Die Leidenschaft ist genauso gross wie früher, auch wenn Schlosser und Fries neben dem Sport ganz normal Vollzeit arbeiten. Der WM-Leader ist selbstständiger Töff-Mech, revidiert und tunt sein Gespann deshalb selbst. Nur deshalb kommt er mit einem Budget von rund 100´000 Franken durch die Saison.
Schlosser fährt schon ewig in der undankbaren Anonymität. «Ich bin seit 31 Jahren dabei», sagt er. Der Berner fährt in den 90er Jahren sogar noch gegen Biland und gilt seit Jahren als bester Schweizer, holt diverse kleinere Titel.
Schlossers Beifahrer wollte aufhören
Folgt nun die historische Krönung? Schlosser/Fries fahren dem ersten Schweizer WM-Titel seit Biland 1994 entgegen. «Unsere Führung ist komfortabel», sagt Schlosser, «aber wir freuen uns erst, wenn alles klar ist. 2016 bin ich in der letzten Runde ausgefallen, so dass mir eine halbe Runde zum Titel gefehlt hat!»
Weltmeister zu werden wäre auch für «Plampi» Fries eine grosse Sache. Der Glasbau-Unternehmer wollte 2018 eigentlich aufhören. Doch nun turnt er sich womöglich zum Titel.
Unfairer Gegner aus England
Was gleich ist wie früher: Die grossen Schweizer Rivalen sind Briten. Zu Bilands Zeiten heissen sie Steve Webster und Darren Dixon. Dieses Jahr kämpfen Schlosser/Fries mit Ex-Weltmeister Tim Reeves und Todd Ellis um die Krone. Schlosser ist nicht wirklich traurig, dass Reeves nach einer Disqualifikation wegen illegalen Motors im Titelkampf out ist: «Er fährt wie Ben Hur, er ist ein wirklich unfairer Fahrer. Es ist unschön, dass sich ein Champion so auf der Strecke aufführt.»
Dass jetzt nach 20 britischen Weltmeistern in den 27 Jahren seit Bilands letztem Titel nun endlich wieder Schweizer vorne liegen, freut auch Biland und den Thuner Adolf Hänni, der als Beifahrer vom Finnen Pekka Päivärinta Weltmeister war. Schlosser: «Mit beiden habe ich viel Kontakt. «Röfu» ist extrem erfreut!»