Tom Lüthi in der Kathedrale des Motorsports
«Ich glaube an den WM-Titel!»

Kein anderer Grand Prix fand öfters statt: Am Sonntag zum 68. Mal. Der GP von Holland ist die grosse Ikone im Töff-Kalender, die Rennstrecke in Assen gilt als «Cathedral of Speed». Vor seinem Auftritt in der Töff-Kathedrale sitzt Tom Lüthi erstmals in Assen in einer echten Kirche.
Publiziert: 26.06.2017 um 19:35 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 20:57 Uhr
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Der Töff-Sport ist in Assen heilig. Darum ist Tom Lüthi in der Kirche ein gern gesehener Gast.
Foto: Sven Thomann|Blicksport
Matthias Dubach (Text) und Sven Thomann (Bilder) aus Assen

Dieser Töff-Termin ist in Stein gemeisselt. Seit 1949 wird immer Ende Juni im 70000-Einwohner-Städtchen Assen im Norden von Holland gefahren. In Assen ist der Töff-Sport Religion. Die Kirche ist die Rennstrecke selber: Der TT-Circuit gilt als «Cathedral of Speed», frei übersetzt: Die Kathedrale des Motorsports.

Hier besucht BLICK mit Moto2-Star Tom Lüthi (30) eine echte Kathedrale: Die «Jozefkerk» ist die grösste Kirche in Assen.

Als Lüthi die Kirche betritt, erklingen Orgel-Töne – die für 250'000 Euro renovierte Orgel wird gerade getestet. Willem van de Vrede und Wilma Pol von der Kirchen-Verwaltung begrüssen Tom herzlich. «Eine schöne Idee, ein Rennfahrer war noch nie bei uns», sagt Pol. Und Van de Vrede meint zu Tom: «Du wirst am Sonntag sicher gewinnen!»

Erst zum zweiten Mal findet in Assen das Rennen statt am Samstag erst sonntags statt. Der Legende nach, weil früher ein Priester in Assen ohne Motorenlärm seine Predigt halten wollte. Van de Vrede: «Wir haben uns nie beschwert. Und Lärm haben wir ja wegen der Party-Meile vor der Kirche sowieso!» Direkt vor der Kirche steht eine grosse Bühne, in der gleichen Strasse ein Riesenrad.

Nach dem Besuch im Gottes-Haus redet Lüthi über Glauben und Aberglauben.

Wann waren Sie letztes Mal in der Kirche?
Tom Lüthi:
Das war bei keinem schönen Anlass, es war die Beerdigung einer Kollegin. Meine Beziehung zur Kirche ist aber nicht so tief, dass ich regelmässig in die Kirche gehen würde.

Woran glauben Sie?
Als Sportler glaube ich an mein Körper-Training. Ich glaube daran, dass es mir auf dem Töff hilft. Auch das mentale Training geht in diese Richtung. Das ist ein schwer fassbarer Bereich, aber ich glaube daran. Schon mein Vater hat früher immer gesagt: 70 Prozent passiert im Kopf. Der Glaube allein reicht aber nicht. Man muss richtig viel Arbeit reinstecken.

Glauben Sie an den WM-Titel?
Klar glaube ich an den Titel. Wenn ich nicht daran glauben würde, wäre ich am falschen Ort. Ich bin Vize-Weltmeister. Der Titel ist das logische Ziel, dafür arbeiten das Team und ich hart.

Glauben Sie an eine Chance in der Königsklasse MotoGP?
Daran glaube ich weiterhin. Das ist eines meiner Ziele. Auch dafür ist viel Arbeit nötig und es braucht auch ein wenig Glück.

Ihr junger Titelkonkurrent Franco Morbidelli hat schon einen MotoGP-Vertrag. Haben Sie den Glauben an den Aufstieg noch nie verloren?
Nein, eigentlich nicht. Der Gedanke an die MotoGP ist nicht tagtäglich präsent. Aber ich arbeite dafür. Es braucht möglichst gute Resultate, damit dieser Schritt vielleicht noch kommt.

Wie wichtig sind gute Resultate, um an sich zu glauben?
Es hilft, um Vertrauen aufzubauen. Aber man kann auch ein schlechtes Ergebnis wegstecken wie in Jerez (Rang 8, d. Red.). Im nächsten Rennen war ich wieder auf dem Podest. Wir haben den Glauben nicht verloren, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

Glauben Sie als Töff-Pilot an die Technik?
Ich beschreibe es lieber als Vertrauen in die Technik. Der Töff ist am Ende eine Maschine, die wir als Team abstimmen. Es liegt an uns, ob die Technik funktioniert.

Sind Sie abergläubisch?
Das ist im Sport ein grosses Thema. Aber ich versuche, nicht in so etwas reinzurutschen. Sonst droht dir, dass du extrem abhängig wirst von gewissen Abläufen. Man wird zum Gefangenen. Ich versuche einfach meinen Job zu machen, professionell zu arbeiten und mich nicht ablenken zu lassen.

Also ziehen Sie nicht immer zuerst den rechten Stiefel vor dem linken an?
Darauf achte ich nicht. Natürlich sind auch bei mir gewisse Abläufe immer gleich, weil man sich an der Strecke eine gewisse Routine aneignet. Aber wenn sich am Ablauf etwas Unerwartetes ändert, bin ich dann nicht deswegen ausserstande das Rennen zu fahren. Die Japaner zum Beispiel sind diesbezüglich ganz extrem, was Rituale angeht.

Erzählen Sie!
Ich weiss nicht, ob es alle Japaner so extrem durchziehen. Aber bei Hiroshi Aoyama (2010 MotoGP-Pilot im Ex-Team von Lüthis Manager Daniel Epp) und Tomoyoshi Koyama (fuhr 2012 sechs GP in Lüthis jetzigem Team, d.Red.) war es ein grosses Thema. Koyama hat immer Salz auf den Vorder- und Hinterreifen gestreut. Dann auch noch über das ganze Motorrad. Teilweise mussten die Mechaniker den Töff nochmals auseinander nehmen und reinigen! Zudem hat er Sake über die Reifen und auf die Strecke gegossen. Und das vor jedem einzelnen Training.

Schicken Sie mal ein Stossgebet zum Himmel, wenn es auf dem Töff nicht läuft?
Unter dem Helm fallen schon mal ein paar Wörter. Es sind aber keine Stossgebete, es sind Anfeuerungen an mich selber, um mich zu motivieren.

Zurück zur Töff-Kathedrale. Spürt man als Fahrer den Mythos?
Auf jeden Fall. Man spürt es schon, wenn man an die Strecke kommt. Man sieht die riesigen Zeltplätze voller Fans. Eine solche Atmosphäre gibt es sonst nur noch in Mugello. Hier wird die Töff-WM so richtig zelebriert und gefeiert. Kollegen aus meinem Heimatort Linden kommen seit 20 Jahren nach Assen, weil es ein toller Event ist.

Es heisst aber, die Töff-Kathedrale sei seit dem grossen Streckenumbau von 2006 nur noch ein Kappellchen…
Böse Zungen sagen das. Ich kenne die alte Variante ja noch mit der unglaublichen Strubben-Passage. Das ist eine der wenigen Kurven, von denen ich den Namen kenne. Die Strubben gibt’s immer noch, aber das ist jetzt ein enges Eck. Vorher hatte sie fast Steilwandcharakter und war schnell. Der ganze erste Streckenteil hat seinen Charakter verloren. Einige Kurven sind aber noch immer leicht überhöht.

Was ist Ihnen heilig?
In unserem hektischen Leben als Rennfahrer sind mir Ferien sehr wichtig. Ich brauche diese Pausen, beim Kitesurfen kann ich richtig abschalten. Aber auch hier: Es bricht für mich keine Welt zusammen, wenn es wie letztes Jahr im Sommer mal nicht klappt.

Wenn Sie mal Kinder haben: Werden sie in der Kirche getauft?
(schmunzelt) Das schauen wir an, wenn es mal so weit wäre!

Falls Sie mal heiraten: Führen Sie die Braut in Weiss vor den Altar?
(lacht) Auch das schauen wir mit der allfälligen Braut dann an, wenn es so weit kommen sollte!

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