Es ist eine Sternstunde, die es offiziell nie gegeben hat! In den Geschichtsbüchern existiert er nicht, der erste Schweizer Doppelsieg in der seit 1949 durchgeführten Töff-WM. Passiert ist er dennoch: Vor genau einem Jahr gewinnt Dominique Aegerter (27) in Misano das Moto2-Regenrennen vor Tom Lüthi (32). Die Schweizer Fans jubeln.
35 Tage danach ist die Herrlichkeit vorbei. Aegerter wird nachträglich disqualifiziert. In Misano war am Quali-Samstag aus seinem Töff eine Ölprobe genommen worden, die sich als illegal entpuppt. In den Statistiken wird aus dem historischen Doppeltriumph nachträglich Lüthis 16. GP-Sieg. Warum das Öl verunreinigte Spuren enthielt,ist bis heute nicht geklärt. Ein bewusster Beschiss ist aber ausgeschlossen, weil manipuliertes Öl kaum mehr PS-Leistung bringt und bei Kontrollen sofort auffliegt.
Seit einem Jahr geht bei beiden vieles schief
Vom Misano-Traum zum Misano-Trauma. Ein Jahr danach ist an der italienischen Rennstrecke eine Sternstunde weit weg. Das aberkannte Highlight ist der Start zu einer Schweizer Töff-Krise. Lüthi schaffte zwar den Aufstieg in die Königsklasse MotoGP, wartet aber vor dem heutigen 12. Saison-GP weiter auf seinen ersten WM-Punkt.Und Aegerter ist nur noch Mittelmass in der Moto2. Keiner der beiden stand seither wieder auf dem Podest.
Fast scheint es so, dass die Doppelsieg-Pokale den Schweizern Unglück bringen. Lüthi kämpft im Herbst 2017 zwar noch um den WM-Titel. Aber im Oktober bricht er sich in der Malaysia-Quali den Fuss. OP, Titel futsch, lange Reha-Phase. Zwar steigt der Emmentaler als erster Schweizer Stammpilot seit 1996 in die Königsklasse ein. Aber statt Punkte gibts 2018 viele Stürze und einen beispiellosen Krach in der Teamführung.
Beim vermeintlichen Sieger Aegerter ist alles noch schlimmer. Im Oktober stirbt in Malaysia völlig überraschend sein Teamchef Stefan Kiefer (†51). Dann entpuppt sich der vermeintliche neue Team-Investor als Hochstapler.Das Team kommt zwar dennoch zustande, aber das Geld fehlt an allen Ecken und Enden. Dann verletzt sich auch der Oberaargauer böse: Beckenbruch nach einem Enduro-Trainingssturz. Nach dem Comeback kommt er nicht auf Touren. Die Quittung: Seine Zukunft ist völlig offen.
Doch wer weiss: Vielleicht wird diesmal in Misano alles besser. Mit Lüthis Rückkehr in die Moto2 ist jedenfalls die Chance gross, 2019 erstmals seit dem verfluchten Misano-GP wieder einen Schweizer auf dem Podest zu sehen.
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Lüthi: «Ist nicht meine schwächste Saison»
«Das Rennen vor einem Jahr in Misano war nicht nur speziell, weil danach Domi der Sieg aberkannt wurde und ich die 25 Punkte erbte. Nach zwei trockenen Tagen regnete es am Sonntag plötzlich. Mein Sturz im Warm-up bei diesem Sauwetter war die perfekte Warnung fürs Rennen, denn dort sind viele auf die gleiche Art gestürzt. Auch Franco Morbidelli, mein Titel-Konkurrent. Ich hatte das Risiko dosiert, deshalb habe ich auf einen Angriff auf Domi verzichtet. Mein Jahr seither war nicht nur negativ. Ich wurde noch Moto2-Vizeweltmeister und bin in die MotoGP aufgestiegen. Meine Verletzung war aber ein Rückschlag, der mich auch beim MotoGP-Einstieg verfolgte. Dazu kamen dann die Geschehnisse in meinem Team. Darüber könnte ich ein Buch schreiben. Obwohl ich bisher keine Punkte geholt habe, sehe ich eher die 125-ccm-Saison 2004 mit der damaligen Verletzung als meine schwächste Saison an. Man muss auch die Klasse und den Töff berücksichtigen. Nun freue ich mich riesig auf die neue Aufgabe in meinem neuen Moto2-Topteam. Die restlichen MotoGP-Rennen sehe ich als gute Vorbereitung auf den Umstieg.»
Aegerter: «Seit Misano wars ein schlimmes Jahr»
«Eigentlich ist mir Misano 2017 als tolles Wochenende in Erinnerung geblieben, ich habe ja gewonnen. Doch der Sieg wurde wegen des Öls aberkannt, das wir im Rennen gar nicht verwendet haben. Selbst wenn ich ein paar PS mehr gehabt hätte, hätte mir das im Regen nicht zum Sieg verholfen. Ich bin keiner, der betrügt. Wer jetzt aber davon redet, dass ich das wiederholen kann, ist ein Träumer. Mein Ziel sind die Punkte. Top-Ten wäre grossartig. Realistisch sind die Top-15. Ich bin überzeugt, dass mit KTM und Kiefer gute Resultate möglich sind, auch wenn wir es noch nicht gezeigt haben. Ich trainiere hart dafür. Rückblickend war es seit Misano ein schlimmes Jahr. Mein Teamchef ist gestorben, dann ist der Team-Sponsor abgesprungen. Wir mussten das Crowdfunding machen, ich habe mich verletzt und mein Manager hat aufgehört. Ich konnte mich selten auf das Töff-Fahren konzentrieren. Ich bin an vielen Verhandlungen für die nächste Saison selber dabei. Aber einen neuen, geeigneten Manager zu finden, ist sehr kompliziert. Ich will in der Moto2 bleiben, aber es gibt nicht mehr viele Plätze.»