«Höre so oft, dass ich eine Legende bin – also stimmt es»
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ZSC-Kultfigur Walter Scheibli:«Höre so oft, dass ich eine Legende bin – also stimmt es»

Zum Tod von Radio-Legende Walter Scheibli (†91)
Sein letzter grosser Wunsch ging nicht mehr in Erfüllung

«Zätt Ess Cee 4, Lugano 3!» Walter Scheibli war die Stimme des ZSC. Nun ist diese für immer verstummt. Ein Nachruf.
Publiziert: 19.12.2023 um 18:08 Uhr
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Aktualisiert: 19.12.2023 um 18:14 Uhr
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So kannte man ihn: Walter Scheibli in seinem gelben Glücks-Pullover.
Foto: freshfocus
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Daniel LeuStv. Sportchef

Februar 2023. Zu Besuch bei Walter Scheibli. Im Gespräch verrät er, dass er noch zwei grosse Wünsche habe. «Ich möchte wie meine Mutter 100 werden und ich möchte nicht ins Pflegeheim», sagt er mit resoluter Stimme.

Diese beiden Wünsche gingen leider nicht mehr in Erfüllung. Die Stimme des Kult-Reporters, sie ist für immer verstummt. Am Dienstag, 19. Dezember, ist Scheibli im Alter von 91 Jahren in einem Pflegeheim verstorben. 

Die Schweizer Sportszene verliert mit Scheibli eine charismatische Figur. Und ich ein Vorbild. Früher sass ich regelmässig neben ihm. Früher, das war um die Jahrtausendwende. Er war zu dem Zeitpunkt schon längst Kult-Reporter von Radio 24, ich ein Neuling von Radio Zürisee. Trotzdem waren wir auf Augenhöhe, weil er einem nie zu verstehen gab, was Besseres zu sein.

Ich durfte damals in den Hockey-Arenen dieses Landes hautnah miterleben, wie Walti seiner Arbeit nachging. Wie er immer schon da war und längst alles installiert und getestet hatte, wenn ich jeweils etwa eine Stunde vor dem ersten Bully-Einwurf eintraf. Wie er mit fester, lauter Stimme sagte: «Zätt Ess Cee 4, Lugano 3!» Wie der dritte Rang im altehrwürdigen Hallenstadion seinen Namen skandierte, er in seinem gelben Glücks-Pulli aufstand, die Arme hob, sich feiern liess und sich nach Sekunden der Huldigung wieder setzte. Der Sonnenkönig und sein Volk.

Tod seiner Frau und seines einzigen Sohnes

Im letzten Februar sass ich zum ersten Mal seit rund 20 Jahren wieder neben ihm. In seiner Wohnung in Zürich-Unterstrass. Scheibli war traurig, denn wenige Monate vor seinem 90. Geburtstag war sein einziges Kind, Walter J. Scheibli, verstorben. Und bereits an Weihnachten 2018 musste er seine geliebte Margrit, mit der er seit 1957 verheiratet war, gehen lassen.

«Wenn ich dorthin schaue, werde ich sentimental», sagte Scheibli und zeigte auf die Fotos seiner Liebsten. «Ich bin mittlerweile fast immer alleine. Wenn es abends dunkel wird, dann tauchen wieder die Gedanken an die Verstorbenen auf. Aber ich versuche trotzdem, positiv zu bleiben, schliesslich will ich ja hier in dieser Wohnung 100 werden.»

Während er das sagte, zeigte er sein typisches spitzbübisches Lächeln. Aber leider spiele sein Gedächtnis mittlerweile regelmässig verrückt. «Früher war das meine grosse Stärke. Ich hatte ein gutes Namensgedächtnis, für das mich viele beneideten. Doch vor einiger Zeit stürzte ich und schlug mir den Kopf an der Tür an. Seitdem habe ich manchmal eine grosse Leere im Kopf und weiss plötzlich nicht mehr, was ich sagen wollte. Das ärgert mich schon, weil ich dann denke: Mensch Walti, das solltest du doch jetzt schon noch wissen.»

Ganz Optimist, sah Scheibli darin auch einen Vorteil. «Wenn ich mich jetzt mit dir unterhalte und über etwas nicht reden will, sage ich einfach, ich kann mich nicht daran erinnern. So kann ich das Gespräch in Bereiche lenken, über die ich reden möchte und in denen ich noch alles weiss.»

Genau das machte das Schlitzohr Scheibli in der kommenden Stunde auch. Das klang dann in etwa so: Walti, wer war dein Lieblingsspieler beim ZSC? Scheibli: «Ach, das weiss ich nicht mehr, aber habe ich dir schon erzählt, wie ich früher im Fussball im Goal stand?»

Wie Scheibli Kult wurde

Bevor er aber davon erzählte, muss den Jüngeren noch das Phänomen Walter Scheibli erklärt werden. «Walter ist vielleicht der einzige Reporter, der einen grösseren Namen hat als alle Spieler», sagte einst der ZSC-Meistertrainer Kent Ruhnke. Was auf den ersten Blick nach einer Übertreibung klang, kam aber der Wahrheit sehr nahe. Zwischen 1982 und 2014 arbeitete Scheibli für Radio 24. Sein Hauptaufgabengebiet war der ZSC. Es war eine Zeit, in der das Radio noch eine wichtige Informationsquelle war. Es gab noch kein Internet und keine Handys, und selbst der Teletext war da noch nicht in Betrieb. Wer also wissen wollte, wie es bei einem Spiel des ZSC stand, der musste das Radio einschalten und Scheibli zuhören.

Dadurch wurde Scheibli – gewollt oder ungewollt – zur Legende. Zu einem Radioreporter, der eigene Autogrammkarten hatte. Der in den Anfangsjahren jeweils mit dem ZSC-Bus zu den Auswärtsspielen mitfahren durfte. Der nichts davon hielt, ein neutraler Reporter zu sein, sondern hörbar mit dem ZSC mitfieberte. Der durch seine Stimme und seine Sätze unser Kopfkino in Betrieb setzte. War er stolz darauf? «Sagen wir es so: Ich höre das nicht ungern, aber lass uns über meine Zeit als Fussballgoalie reden.»

«Schawinski hat mich ins Rampenlicht gestellt»

Scheibli hatte als Jugendlicher vor allem einen Traum: Er wollte ein professioneller Fussballgoalie in Frankreich werden. Ganz geklappt hatte es nicht, für die Young Fellows lief er aber in drei Nati-A-Partien auf. Seine zweite grosse Liebe war schon früh der ZSC. 1938 nahm ihn sein Vater erstmals zu einem Spiel auf den Dolder mit. 

Neben dem Fussball machte Scheibli eine Bäckerlehre. Später arbeitete er für Nestlé im Aussendienst und engagierte sich ehrenamtlich in seinem Klub, dem FC Unterstrass. Als 1966 ein Junioren-Chlausabend anstand, begann seine Geburtsstunde als Reporter. «Wir wollten damals eigentlich Jan Hiermeyer engagieren, um ein paar eingeladene Spieler des FC Zürich zu interviewen. Doch der verlangte zu viel Geld. Also schnappte ich mir das Mikrofon und sprang ein.»

Sein erster Versuch, in der Radiolandschaft Fuss zu fassen, misslang aber. Zwar arbeitete er kurz für Radio Beromünster, doch für deren Chefs war seine Art zu reisserisch. Nicht aber für Roger Schawinski, den Gründer des neuen «Radio 24». «Schawi hat mich dann ins Rampenlicht gestellt und gefördert.» Es war der Startschuss für eine einzigartige Karriere.

«Bitte nicht weitersagen»

Das viele Reden hatte Scheibli im Februar 2023 müde gemacht. Nach einer Stunde Gespräch spielte ihm sein Gedächtnis immer öfters einen Streich. Wir redeten noch einmal über seine verstorbene Margrit. Scheibli schwärmte von seiner Ehe, die 2018 so jäh zu Ende ging. «Wir hatten in über 60 Ehejahren nicht einmal einen richtigen Streit. Sie war eine wunderbare Frau.»

Noch einmal schaute Scheibli in seiner Wohnung nachdenklich auf ein Foto seiner Frau. 67 Jahre lang lebte die treue Seele an der gleichen Adresse. Und auch seiner Zweitwohnung hielt er stets die Treue: dem Zürcher Hallenstadion. Doch seit letzter Saison spielen die ZSC Lions bekanntlich in der neuen Swiss Life Arena. «Das neue Stadion gefällt mir gut. Beim letzten Besuch habe ich übrigens festgestellt, dass mein Bekanntheitsgrad noch immer sehr hoch ist.»

Während er dies sagte, beugte er sich zu mir rüber, legte eine Hand auf meinen Arm und flüsterte. «Das macht mich schon ein bisschen stolz. Aber bitte nicht weitersagen.» Dann wurde seine Stimme wieder lauter. «Aber genug darüber, lass uns über meine Zeit als Fussballgoalie reden.»

Jetzt ist seine Stimme für immer verstummt. Machs guet, Walti!

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