Auf einen Blick
Das Leben erteilte Wasserspringerin Michelle Heimberg (24) an der WM im Februar eine schmerzhafte Lektion. Die Aargauerin verpasste die Qualifikation für die Olympischen Spiele. Danach musste sie die Saison vorzeitig abbrechen. «Mein Körper machte nicht mehr mit. Mir fehlte die Energie», erklärt Heimberg ein halbes Jahr später. Nachdenklich ergänzt sie: «Ich habe die Handbremse vermutlich zu spät gezogen.»
Mit Blick spricht Europas Wasserspringerin des Jahres 2023 erstmals öffentlich über die Monate nach dem geplatzten Olympia-Ziel. «Ich kam kaum mehr aus dem Bett.» Heimberg fühlte sich tagelang schlapp. Die Burnout-Symptome sind für die sonst so energiegeladene Aargauerin ein Schock. «Ich erkannte mich nicht mehr wieder.»
Schlimme Verletzungen stoppten Kunstturn-Karriere
Dass es so weit kommen musste, führt sie auf ihr grosses Ziel zurück. «Ich blendete einige Warnsignale aus.» Die Olympischen Spiele überstrahlten so manches kleinere und grössere Problem. Die Schmerztoleranz sei noch einmal gestiegen. Gleichzeitig nahm ihr Energielevel immer wie mehr ab. Die Europameisterin vom 1-Meter-Brett beschreibt es als «schleichender Prozess».
Seit Heimberg vierjährig ist, trainiert sie innerhalb professioneller Strukturen. Als Kind träumte sie von einer erfolgreichen Karriere als Kunstturnerin. Bis sie mit zwölf Jahren beide Kniescheiben gebrochen hatte. Heimberg findet zum knieschonenden Wasserspringen. 2021 erfüllte sie sich in Tokio ihren Olympia-Traum. Danach erlebte sie Ähnliches wie in diesem Frühjahr. Ihr fehlte für knapp zwei Monate der Antrieb, wieder richtig zu trainieren. Diesmal sagt sie sogar: «Ich verlor die Freude am Wasserspringen.»
Plötzlich ohne jeglichen Plan
Dass Heimberg bereits vor dem Olympia-Aus die Energie fehlte, merkte nur ihr engstes Umfeld. «Von aussen merkt man mir nicht so schnell an, wenn etwas nicht stimmt.» Ihre Familie hat sie bis zuletzt unterstützt, war dann aber auch froh, als sich Heimberg für eine Pause entschied.
Nach den ersten Tagen im Bett kämpfte die Aargauerin mit der fehlenden Tagesstruktur. «Mein Leben war von klein auf durchgeplant.» Erst mit der Zeit lernte sie, das Gefühl der Planlosigkeit zu schätzen. Ganze drei Monate dauerte es, bis Heimberg wieder nahezu die Alte war. Für ihr Umfeld eine schwierige Phase. «Um Dinge zu unternehmen, fehlte mir oft die Kraft.»
Familie hilft stärker mit
Dafür blieb viel Zeit, um darüber nachzudenken, mit wem sie in Zukunft zusammenarbeiten möchte. Der Rücktritt sei nie ein ernsthaftes Thema gewesen. Neuerdings trainiert Heimberg in Bern, wo sie einer Trainingsgruppe angehört. Ihr Freund und ihre Eltern unterstützen sie beim Beantworten von Anfragen jeglicher Art. «So kann ich mich voll und ganz auf den Sport konzentrieren.»
Im nächsten Jahr will Heimberg ihr Bachelorstudium in Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der Uni Zürich abschliessen. «Es geht mir so gut wie noch nie», sagt sie. Die Freude am Wasserspringen ist zurück. Im kommenden Jahr finden die EM und die WM statt. Auf dem Weg dorthin will sie «ganz genau hinschauen und ehrlich mit sich selber sein.» Heimberg hat ihre Lektion gelernt.