Was für ein Wechselbad der Gefühle! Da hat Tadesse Abraham 2016 ein Jahr auf Wolke sieben erlebt: 2:06:40 Stunden – Marathon-Schweizerrekord im März in Seoul. Im Juli wird er in Amsterdam Europameister im Halbmarathon und holt EM-Gold mit dem Team. Im August in Rio krönt er seine Traum-Saison mit dem siebten Rang bei Olympia. Erfolge genug, um als Schweizer Leichtathlet des Jahres geehrt zu werden.
Doch dann wird Mitte März 2017 aus Euphorie plötzlich Elend. Der 35-Jährige muss sein Traingslager in Äthiopien wegen Rückenbeschwerden abbrechen. Zurück in der Schweiz die Schock-Diagnose: Ermüdungsbruch im Kreuzbein. Lauf-Verbot!
«Tade» hat das Signal seines Körpers akzeptiert
«Für mich ist das schlimm gewesen», blickt Tadesse ein halbes Jahr später zurück. «Die erste schwere Verletzung in meiner Karriere. Mein Körper hat mir signalisiert, dass er am Limit ist. Am Anfang durfte ich bloss zwei- bis dreimal pro Woche 20 Minuten spazieren. Das war eine schwierige Zeit.» Doch «Tade» hat das Signal seines Körpers akzeptiert.
Anstatt mit dem Schicksal gehadert, hat er das Beste daraus gemacht. Obwohl er das nasse Element nicht besonders mag, ist er ins Wasser gegangen. «Zuerst fürs Aqua-Jogging – dann bin ich geschwommen. Crawlen kann ich zwar nicht, aber ich habe doch Trainingseinheiten bis zu einer Stunde geschafft.»
Nach einigen Wochen durfte er dann wieder aufs Velo. «Als Knabe bin ich in Eritrea zwar viel Velo gefahren. Bis ich einmal ein Crash hatte. Mein Velo war kaputt, für ein Neues hat das Geld gefehlt. Also bin ich halt wieder in die Schule gelaufen», erinnert er sich. Sein Ermüdungsbruch hat ihn aufs Velo zurück gebracht.
«Zwei- bis dreimal pro Woche habe ich mit ein paar Kollegen aus Genf auf dem Velo trainiert. Einmal waren wir 145 Kilometer unterwegs. Aber Velofahren ist nicht so mein Ding. Auf dem Velo gibts nur dicke Beine. Für meinen ‚Motor’ waren die Ausfahrten auf dem Velo zwar gut, der Wechsel zum Laufen ist mir danach aber schwer gefallen. Für Triathlon wäre ich also kaum geeignet», scherzt Tadesse und lacht.
New York Marathon ist sein nächstes Ziel
Jetzt kehrt Abraham in sein Kern-Geschäft zurück. Am Samstag beim Greifenseelauf gibt er sein Wettkampf-Comeback. Seit dem 9. August hat er sich in seiner äthiopischen Trainingsgruppe darauf vorbereitet. «Am Mittwoch haben wir einen Test über 35 Kilometer gemacht. Ich habe problemlos und schmerzfrei mit den Besten mitgehalten», freut sich Tadesse.
Dass er erst am Donnerstagabend in Addis Abeba ins Flugzeug steigt, am Freitagvormittag in Genf ankommt und nach einem kurzen Besuch bei seiner Familie noch am gleichen Abend im Auto nach Uster fahren muss, stört ihn nicht. «Ich habe das schon öfter gemacht, bin mir’s gewöhnt», sagt er. Im Moment sei er etwa bei 60 bis 70 Prozent seines Leistungsvermögens.
«Aber in Bestform will ich ja nicht jetzt beim Greifenseelauf sein, sondern am 5. November, wenn ich beim New York Marathon mitlaufen darf. Bei einem so berühmten Rennen starten zu können, ist für mich eine Ehre.»