Wie ein Feldherr schaut Ramon Widmer (27) auf dem Höferberg in die Ferne, das weite Spielfeld liegt zu seinen Füssen. Der Hornusser des NLB-Aufsteigers HG Hintermoos-Reiden LU nimmt Mass, schwingt seinen Stecken kräftig durch und schlägt den Nouss vom Bock. Pffft! Das schwarze Flugobjekt fliegt über das trapezförmige Ries und landet bei 260 Metern. Die Besten schlagen die Scheibe über 300 Meter weit. «Ein guter Streich», sagt Widmer zufrieden. Dann zieht er die Prothese aus. Bei einem Arbeitsunfall hat er die linke Hand verloren.
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Am 17. Oktober 2019 ändert sich das Leben von Ramon Widmer. Er erntet gegen 21 Uhr in Däniken SO mit einem Feldhäcksler Gras, um daraus Siloballen zu erzeugen. Weil es geregnet hat, verstopft nasses und matschiges Gras den Häckselturm. Widmer stellt die Maschine ab, öffnet die Abdeckung und langt fatalerweise in die noch drehenden Wurfschaufeln. «Ich wusste zwar, dass die Wurfschaufeln 80 Sekunden nachlaufen, ehe sie automatisch stehen bleiben. Aber in der Hektik der Ernte arbeitete ich zu schnell», erinnert sich der gelernte Landschaftsgärtner. «Es fühlte sich an, als hätte ich mir nur den kleinen Finger eingeklemmt. Aber als ich den Arm herauszog, war die Hand nicht mehr dran.»
Ramon Widmer bleibt positiv
An der Unfallstelle zählt jede Minute. Ein Arbeitskollege von Ramon Widmer bindet mit einem Pullover den Arm ab, ein anderer holt die Hand aus dem Häcksler und steckt sie in einen Eisbeutel. Nach neun Minuten landet der Rettungshelikopter. Acht Stunden lang versuchen die Ärzte im Kantonsspital Aarau vergeblich, die Hand zu retten.
«Ich habe nie gehadert mit meinem Schicksal. Andere Menschen sitzen nach einem Unfall ein Leben lang im Rollstuhl. Ich dagegen kann jeden Morgen selber aufstehen und bin auf niemanden angewiesen. Das gab mir positive Energie», sagt Ramon Widmer. Er setzt sich neue Ziele: möglichst schnell das Spital verlassen, wieder zur Arbeit gehen, Auto fahren und hornussen. Dabei hilft ihm sein Lebensmotto: «Wenn du willst, geht alles!»
Ramon Widmer entschied sich gegen Hightech-Hand
Nach einem Monat kehrt er ins Generationenhaus nach Reiden zurück. Mutter Iris (50), Vater Thomas (57), Schwester Michelle (26) und Freundin Stefanie Geiser (27) sind erleichtert. Ramon Widmer bekommt für den Alltag eine myoelektrische Prothese; 1,3 Kilogramm schwer, 50'000 Franken teuer. «Obwohl ich motiviert war, kam ich mit dieser Roboterhand, welche über meine Gedanken und durch die Impulse der Muskeln gesteuert wird, nicht zurecht. Ich empfand sie als Fremdkörper. Alles wurde mühsamer. Ich regte mich nur noch auf. Nach ein paar Monaten entschied ich mich, die Hightech-Hand in den Schrank zu legen», erzählt Widmer.
Vor zweieinhalb Jahren hat sich Ramon Widmer einen Traum erfüllt und sich selbständig gemacht. Er führt ein Bauunternehmen mit sechs Angestellten. «Ich bediene verschiedene Bagger und meistere meinen Alltag mit ganz viel Freude und Engagement», sagt der Chef.
Bereit für das Hornusserfest
Pffft! Ramon Widmer hat im Training wieder weit abgeschlagen. Eine Hornusser-Prothese hilft ihm, seinen Lieblingssport wie gewohnt auszuüben. Sie besteht aus einem Silikonliner, dem Bindeglied zwischen Stumpf und Prothesenschaft. Am Liner ist ein Gewindestab montiert, an den eine Carbon-Prothese angeschraubt ist. Und an dieser Carbon-Prothese ist der Spezialaufsatz aus Chromstahl angeschweisst, der direkt mit dem Stecken verbunden ist. Zwei Teamkollegen von Ramon Widmer haben mithilfe des Zeichenprogramms CAD das weltweit einzigartige Modell ausgetüftelt.
Pffft! Wieder 260 Meter weit! Widmer ist bereit für das alle drei Jahre stattfindende Eidgenössische Hornusserfest in Höchstetten BE, das an den zwei kommenden Wochenenden (23. bis 25. August und 30. August bis 1. September) ausgetragen wird. «Ich möchte ein Trinkhorn als Mannschaftsauszeichnung gewinnen und all meine acht Streiche über 240 Meter weit schlagen.» Die Chancen stehen gut, dass Ramon Widmer auch das erreichen wird.