BLICK: Jeannine Gmelin, stemmen Sie heute noch 10-Kilo-Reisssäcke?
Jeannine Gmelin: Wie meinen Sie das?
Sie haben kürzlich gesagt, dass Ihnen bei ihrem Trainingslager in Slowenien die grossen Gewichte fehlen.
Stimmt (lacht)! Aber jetzt, nachdem die Olympischen Spiele abgesagt wurden, komme ich damit klar – ich mache nun mehr Übungen mit dem eigenen Körpergewicht. Da ist Kreativität gefordert.
Sie trainieren seit mehr als zwei Wochen auf dem Lake Bohinj im Triglav-Nationalpark. Wollen oder können Sie nicht zurück in die Schweiz?
Ich kann hier trainieren – nicht nur auf dem See. Im Haus, in dem ich wohne, habe ich im Keller einen Fitness-Raum eingerichtet. Es hat ein Ruder-Ergometer, ein Indoor-Bike und bei schönem Wetter kann ich auch draussen aufs Rennrad.
Zuhause auf dem Sarnersee wäre ein Training auf Wasser nicht möglich, oder?
Nein. Das Ruderzentrum hat geschlossen, alle Ruderklubs müssen pausieren.
Sie sind in einem goldenen Käfig?
In Bezug auf das Training schon, ja. Ich fühle mich hier sicher – wie lange ich bleibe, weiss ich noch nicht. Die Flugmöglichkeiten sind eingeschränkt und mit dem Auto wäre es sicherlich auch nicht einfach, in die Schweiz zurückzukehren.
Wie wirkt sich die Corona-Krise auf Ihren Alltag aus?
Hier in Slowenien ist es ähnlich wie in der Schweiz. Ausser den Lebensmittel-Läden und den Apotheken hat alles zu. Die 5-Personen-Regel gilt ebenfalls. Für mich ist das kein Problem, als Spitzensportlerin bin ich seit jeher vorsichtig. Aber das Einkaufen ist schon speziell...
Erzählen Sie.
Es gilt das Tröpchensystem – es darf erst jemand in den Supermarkt, wenn ein anderer raus ist. Und bei den Wägeli werden die Handgriffe nach jedem Gebrauch desinfiziert. Und auch die Hände, klar. Dazu gibt es kostenlose Plastik-Handschuhe für die Kunden.
Macht Ihnen das Virus Angst?
Nein. Aber die Situation stimmt mich nachdenklich.
Worüber denken Sie nach?
Viele Dinge, die wir als selbstverständlich sehen, sind nun nicht mehr einfach gegeben. Die extreme Bewegungsfreiheit zum Beispiel. Das habe ich anhand dieser Krise an meiner eigenen Situation gemerkt. Vor allem mache ich mir Gedanken, wie es wird, wenn wir irgendwann wieder in eine gewisse Normalität zurückfinden.
Und weiter?
Wir tendieren oft dazu, das zu wollen, was wir gerade nicht haben. Wenn wir im Stress sind, wünschen wir uns mehr Zeit um zu relaxen oder ein Buch zu lesen. Und jetzt, wo wir zu Hause sein sollen, wollen wir wieder raus und arbeiten. Vielleicht hilft diese Krise, mehr zu schätzen, was wir haben und auch, dass die wirklich wichtigen Dinge im Leben zwischenmenschliche Beziehungen und Werte sind.
Bei einer Rückkehr in die Schweiz könnten Sie Ihre Familie nicht treffen, oder?
Ich würde darauf verzichten. Aus Vorsicht. Von daher ist es nicht so schlimm, für einmal weit weg zu sein. Wir telefonieren, schreiben und sehen uns via Skype.
Wurde jemand in Ihrem Umfeld infiziert?
Nein. Aber meine Schwester, meine Mutter und meine Brüder arbeiten im Pflegesektor. Sie sind einem gewissen Risiko ausgesetzt.
Haben sie ein mulmiges Gefühl?
Es beschäftigt mich, wie es ihnen geht. Aber ich kann die Situation nicht ändern.
Zurück zum Sport. Olympia wurde auf 2021 verschoben. Wie planen Sie?
Noch wissen wir nicht, wann die Spiele in Tokio beginnen. Das macht alles kompliziert. Ich gehe nicht davon aus, dass es in diesem Jahr noch Ruder-Wettkämpfe gibt für mich. Aber für die Motivation ist das kein Problem – ich trainiere extrem gerne.
Ihr Ziel bleibt so oder so Olympia-Gold?
Ja. Der Weg dahin ist nun einfach länger (schmunzelt).
Sie trainierten seit einem Jahr auf eigene Kosten. Reicht das Geld noch bis 2021?
Das Thema lag mir in den letzten Tagen auf dem Magen. Aber zum Glück habe ich von meinen Sponsoren positive Signale bekommen – sie bleiben an Bord.
Und Ihr Trainer Robin Dowell?
Auch er bleibt. Das ist natürlich toll. Wichtig ist jetzt, positiv zu bleiben. Genau das gelingt mir bislang – und hoffentlich noch viel länger.