Bergsteiger Siegrist zu Corona
«Hier unten ist es bald so ruhig wie auf dem Berg»

Stephan Siegrist gehört in Corona-Zeiten als Bergsteiger für einmal nicht zur Risikogruppe. Trotzdem hat der Virus auch auf das Leben des Extremsportlers grossen Einfluss.
Publiziert: 15.03.2020 um 21:07 Uhr
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Aktualisiert: 16.03.2020 um 01:14 Uhr
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Bergsteiger Stephan Siegrist kann ebenfalls nicht vom Coronavirus flüchten.
Foto: Keystone
Patrick Mäder

Stephan Siegrist ist in Meikirch geboren. Ein Dorf im Berner Mittelland, von wo aus man eine herrliche Weitsicht auf die Schweizer Bergpracht hat und verlockend schnell vom Trubel im Tal in die ruhigen Berge fliehen kann. Siegrist ist der Sehnsucht gefolgt, hat seine Bubenträume wahr und seine Leidenschaft für das Abenteuer zum Beruf gemacht.

Der 47-Jährige gehört in­zwischen längst zu den besten Extrembergsteigern der Welt. Im Dezember ist er von Patagonien zurückgekehrt, von seinem jüngsten Projekt. Dort, an der Südspitze Südamerikas, hat er nichts gemerkt von der heimtückischen Gefahr, die sich langsam von China Richtung Europa geschlichen hatte. Nun aber, zurück in Interlaken, reibt auch er sich die Augen, weil das Undenkbare so rasend schnell zum Denkbaren und noch schneller zur Realität wird. Gerade auch im Sport, wo praktisch alle Wett­bewerbe und Sportarten vor dem Coronavirus kapitulieren müssen.

Nicht alle, ein paar Sportarten wie das einsame Bergsteigen scheinen davon nicht betroffen. Stimmt diese These? Oder hat das Coronavirus auch auf diesen Sport einen Einfluss? Wir fragen bei Stephan Siegrist nach.

Sie haben Glück, dass Sie Bergsteiger sind und nicht Fussballer oder Eishockeyspieler.
Stephan Siegrist: Das kann man in dieser Situation für einmal vielleicht so sagen. Meine Sportart wird im Gegensatz zu vielen anderen wohl nicht so schnell verboten.

Fühlen Sie sich wegen des Coronavirus trotzdem eingeschränkt bei Ihrer sportlichen Tätigkeit?
Was das Bergsteigen anbelangt, fühle ich mich nicht eingeschränkt. Da sind die Türen offen. Ich könnte ja einfach aufbrechen in ein einsames Hüttli auf dem Berg irgendwo in der Schweiz, wo ich meine Ruhe hätte und jedem Ansteckungsrisiko aus dem Weg gehen könnte. Aber selbstverständlich gibt es auch Einschränkungen – auch für mich.

Welche?
Ich werde in nächster Zeit nicht ins Ausland reisen.

Also kein Frühlings­trainingslager im Kletterparadies auf Sardinien.
Nein, solche Reisen, die sonst üblich sind, fallen aus. Zudem wurde gerade mein nächstes Projekt abgesagt – ein Werbefilm im Berner Oberland. Da wären zu viele Leute zusammengekommen. Das Risiko wäre zu gross gewesen. Am Freitag hatte ich noch ein Referat bei einer Firma in Chur, die haben die Zuhörerzahl auf dreissig beschränkt, darum ging das. Aber das war wohl vorläufig mein letzter solcher Auftritt. Nach den neuen Verordnungen des Bundesrats ist inzwischen bis auf weiteres alles abgesagt. Also trifft mich das Ganze auch in finanzieller Hinsicht.

Sie sind Familienvater, müssen Sie sich deswegen existenzielle Sorgen machen?
Man weiss ja nicht, wie lange diese Krise andauern wird. Immerhin machen solche Referate und Vorträge etwa die Hälfte meines Einkommens aus. Aber im Moment bin ich in dieser Hinsicht noch entspannt.

Sind Sie auch in der Rolle als Familienvater entspannt?
Vom Alter her gehören meine Frau, mein Sohn und ich ja nicht zur Risikogruppe. Aber mein Vater lebt mit uns unter einem Dach. Er ist über siebzig, und so gibt es halt schon ein paar Verhaltensregeln.

Zum Beispiel?
Dass der Sohn, wenn er nach Hause kommt, nicht gleich zum Grossvater rauf rennt, sondern zuerst auf die Hygiene schaut. Wir diskutieren diese Krise zu Hause und nehmen die Sache ernst. Aber wir haben jetzt keine Panik und bleiben möglichst gelassen.

Haben Sie diese Gelassenheit beim Klettern gelernt?
Bergsteigen verlangt grosse Präzision, Planung und Flexibilität, um beispielsweise bei einem plötzlichen Wetterumsturz richtig und schnell zu reagieren. Ich denke, dass diese Fähigkeiten auch im Krisenalltag nicht schaden können.

Als Bergsteiger, der sich in schwindligen Höhen bewegt, sind Sie sich Ruhe und Einsamkeit gewohnt. Wie erleben Sie die momentane Hektik hier unten auf dem Boden der Tatsachen?
Ich erlebe keine Hektik, ich finde das Gegenteil passiert gerade. Die Menschen ziehen sich zurück, werden still, wuseln nicht mehr herum, jagen nicht mehr nur dem Geld nach. Es scheint, als würden sie in dieser Krise zu sich kommen und wieder die Natur und ihre Schönheit entdecken und zur Gelassenheit finden. Alles verlangsamt sich, wird ruhiger. Hier unten ist es ja bald so ruhig wie auf dem Berg.

Es wird noch viel ruhiger werden, zumindest was die Sportveranstaltungen anbelangt. Praktisch alles wird abgesagt oder verschoben. Uns Sportjournalisten drohen womöglich bald die Themen auszugehen.
Vielleicht ist das ja die Chance für publikumsferne Sportarten wie das Bergsteigen, die hoffentlich keinem Verbot erliegen. Wäre doch schön, wenn wir auch mal die mediale Beachtung bekämen, welche sonst den Publikumssportarten vorbehalten ist.

Dann erzählen Sie doch mal von Ihrem nächsten grossen Projekt.
Da geht es um eine grosse Fernseh-Doku zusammen mit Servus TV. Ich weiss allerdings zurzeit nicht, ob das alles so durchgeführt werden kann wie geplant oder ob der Virus was dagegen hat. Die Situation ist ja jeden Tag etwas anders, eine Voraussicht unmöglich. Aber ich habe viele Ideen und gerade ein bisschen Zeit, um mir ein schönes Projekt auszudenken.

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